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Westdeutsche Zeitung: Frankreichs Armenien-Gesetz bringt die Türkei in Rage

Archivmeldung vom 24.12.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.12.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die Nato-Staaten Türkei und Frankreich liegen im Clinch. Fast scheint es, als sei das Tischtuch zerschnitten. Die Türkei hat ihren Botschafter aus Paris abberufen und hegt derzeit keinerlei Interesse an Diplomatie. Frankreichs Präsident Sarkozy ist in Ankara eine Persona non grata, seit er sich für das jetzt verabschiedete Genozid-Gesetz starkgemacht hat. Es stellt auch die Leugnung des Völkermords an Armeniern unter Strafe.

Die Türkei will nicht mit dem Schicksal Hunderttausender Armenier in Verbindung gebracht werden, die von 1915 bis 1917 ihre Heimat oder gar ihr Leben verloren. Genau auf diesen Hinweis aber zielt das französische Gesetz ab. An dieser Stelle treffen türkischer Nationalstolz und französische Wahlkampftaktik aufeinander. Denn viele Nachfahren der Armenier haben in Frankreich ein Zuhause gefunden und sind eine beträchtlich große Wählergruppe. Ihnen zu gefallen, ist Sarkozys Ziel.

Der türkische Regierungschef Erdogan gibt dagegen den Anwalt eines Volkes, in dessen Geschichtsschreibung es keine dunklen Kapitel gibt. Das Selbstverständnis der Türkei ist das einer "sauberen Nation". Dazu zählt auch, dass es im Osmanischen Reich, dem Vorgängerstaat der Türkei, einen Völkermord nicht gegeben haben kann.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich der Streit, der vor allem von Erdogan unerbittlich und äußerst undiplomatisch geführt wird. Er wirft den Franzosen Völkermord in Algerien vor. Die Schärfe des Streits wundert den Rest Europas. In Zeiten, in denen etwa die Staaten der Europäischen Union darum ringen, durch fundamentale Gemeinsamkeit den Weg aus der Schuldenkrise zu finden, wirken derart nationalistische Töne irritierend. Und das vor allem aus dem Munde eines Politikers, der mit aller Macht darauf dringt, mit seinem Staat Teil genau dieser Gemeinschaft zu werden.

Aus diesem Grund verhält sich der starke Mann der Türkei derzeit nicht sonderlich geschickt. Zwar versucht er gleichzeitig, seinen Staat zum politischen Oberzentrum des Nahen Ostens zu machen. Aber vor allem wirtschaftlich kann die Zukunft der Türkei nur in Europa liegen. Und ein Europa ohne Frankreich wird es ebenso wenig geben wie eine Mitgliedschaft der Türkei gegen den Willen der Franzosen.

Quelle: Westdeutsche Zeitung (ots)

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