Leipziger Volkszeitung zu SPD
Archivmeldung vom 08.09.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittGroßes Theater am Schwielowsee. In weniger als einem Tag einen Vorsitzenden versenkt und einen neuen alten aus der Versenkung geholt. Und gleich noch einen Kanzlerkandidaten aus der Taufe gehoben.
Das macht der SPD keine Partei so schnell nach. Gehört dort aber seit dem Scharping-Sturz und dem Lafontaine-Abgang zur Routine. Am Ende wurde der glück- und konzeptlose Kurt Beck auf offener Bühne von den eigenen Genossen gedemütigt. Nicht einmal den Zeitpunkt durfte er bestimmen, an dem er zugunsten von Außenminister Steinmeier auf die Kanzlerkandidatur verzichten musste. Derart demontiert, blieb ihm nur die Rest-Würde durch Rücktritt. Beck hinterlässt eine Partei, die tief in Linke und Moderate gespalten ist. Sein Erbe ist ein parteipolitischer Trümmerhaufen, den er nicht allein zu verantworten hat. Noch immer deliriert die deutsche Sozialdemokratie mit dem Phantomschmerz, den der historische Bruch zwischen Schröder und Lafontaine hinterlassen hat, der Bruch zwischen Reform-Versuch und schönen Umverteilungsphantasien. Müntefering und Steinmeier, ein unruhiger Rentner und eine beliebte, aber blasse Schröder-Kopie, wollen den Erosionsprozess der SPD nun im Tandem aufhalten. Müntefering soll Lafontaine und die Linke in Schach halten und die Parteiseele streicheln. Steinmeier soll der bisher unangefochtenen CDU-Kanzlerin Merkel das Wasser abgraben. Die sozialdemokratischen Paukenschläge verschaffen der Partei für einige Zeit mediale Dauerpräsenz und ein wenig Luft und Erleichterung im bayrischen Landtagswahlkampf. Ob Müntefering und Steinmeier das Ruder herumreißen können, ist so offen wie die strategische Flanke der SPD. Wie wollen sie die Kanzlerschaft zurückerobern, ohne mit den Linken zu paktieren? Schaffte es Ypsilanti mit Hilfe der Linken in Hessen zur Ministerpräsidentin, wäre das ein herber Rückschlag für den Hartz-IV-Baumeister Steinmeier. Zwischen Steinmeier und Merkel beginnt jetzt ein Dauerwahlkampf. Innenpolitisch ist Stillstand mit Hauen und Stechen angesagt. Außenpolitisch droht mit Blick auf Russland oder die Menschenrechte eine gespaltene Regierung. Taktisch war das Abservieren von Beck und besonders Steinmeiers Kandidatenkrönung eine mediale und politische Meisterleistung. Strategisch kommt der Putsch gegen den ungeliebten Vorsitzenden aber viel zu früh. Neuwahlen wären jetzt das Richtige für Deutschland, doch dazu wird es nicht kommen.
Quelle: Leipziger Volkszeitung