Börsen-Zeitung: Kalte Enteignung
Archivmeldung vom 28.01.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten." An diesen ersten Satz aus Artikel 127 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU - ein Satz, der im Zuge der Bewältigung der Finanzkrise und ihrer Folgen gelegentlich in den Hintergrund, wenn nicht in Vergessenheit geraten schien - darf und muss angesichts der aktuellen Teuerungsraten erinnert werden. Mit "Inflationshysterie" hat das rein gar nichts zu tun.
Ihre zentrale, nach Wortlaut und Geist des Vertrages durch nichts zu relativierende Aufgabe sehen die Hüter des Euro als erfüllt an, wenn sich der Preisanstieg unter, aber nahe 2% bewegt. In Euroland war diese Schwelle zuletzt mit 2,2% bereits überschritten. Die deutsche Teuerung verfehlt im Januar mit 2% (harmonisierter Verbraucherpreisindex) ebenfalls das Ziel.
Inflation ist die kalte Enteignung der Sparer. Und ob knapp über oder unter der Marke von 2%: Beim heutigen Zinsniveau läuft die Geldentwertung für viele Bürger längst auf die Erosion ihrer Ersparnisse hinaus; der Realzins ist z.B. bei den meisten Tagesgeld- oder Festgeldangeboten negativ, nach Steuern erst recht. Umso mehr verlieren Anleger inflationsbereinigt bei Kurzläufern des Bundes. Es wäre schön, wenn sich die fast zum Nulltarif in Liquidität badenden Banken und Sparkassen - wie es hierzulande einmal guter Brauch war - insofern deutlich als Anwälte der Sparer positionieren würden.
Auch Einkäufer von Unternehmen und private Verbraucher sind gebeutelt. Von Kernraten, Basiseffekten oder importierten (also noch nicht hausgemachten) Preissteigerungen - mit dem Hinweis darauf werden die Teuerung und die Inflationserwartungen ja gerne verbrämt - können sie sich nichts kaufen. Der Energie- oder Rohstofflieferant begnügt sich leider nicht damit, die Preise um eine statistische Kerninflationsrate anzuheben.
Währungshüter müssen, zumal angesichts der verzögerten Wirkung ihrer Instrumente, vorausschauend agieren, statt erst auf vollendete Tatsachen zu reagieren; sie müssen "vor der Kurve" sein. Lassen sie die Preise erst davonlaufen, wird es äußerst schwer (und für die Volkswirtschaft umso schmerzhafter), sie wieder einzufangen. Nun hat die EZB in diesem Sinne richtigerweise damit begonnen, die Geldpolitik zu verschärfen - zunächst verbal. Jean-Claude Trichet & Co. werden den Worten Taten folgen lassen müssen, eher früher - das heißt im ersten Halbjahr - als später.
Quelle: Börsen-Zeitung