Basler Zeitung: WM-Presseschau - Kommentar: Die Illusion stirbt zuletzt
Archivmeldung vom 03.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittViele Gelegenheiten bleiben nicht mehr, bei dieser WM noch erinnerungswürdige Klassiker zu erleben. Das Spiel um Platz drei ausgeklammert, sind es genau drei ernstzunehmende Partien, aber auch in denen wird das Bild nicht mehr korrigiert werden können, das von der 18. Fussball-Weltmeisterschaft bleibt:
Ein Turnier, bei dem wenig Tore fielen, bei dem es weniger mitreissende Torraumszenen gab, als man sich vorher ausgemalt hatte.
Der moderne Fussball scheint festgefahren zu sein in der
Perfektionierung des Spiels. Franzosen und Brasilianer führten das
vielleicht am anschaulichsten in ihrem Viertelfinal vor Augen. Wo
Kaká und Ronaldinho auftauchten, waren sie von drei Franzosen
umzingelt. Die Harlem Globetrotters des Weltfussballs wurden
entzaubert durch die Ordnung des Gegners auf dem Platz. Dass der
entthronte Weltmeister dabei einen blutleeren Eindruck hinterliess,
ist die eine Seite.
Der andere Erkenntniswert des Zweckfussballs, der diese WM
dominiert, ist die ungeheure physische Präsenz, die durchweg alle
Turnierteilnehmer auszeichnete. Im Netz von unermüdlichen
Dauerläufern und kühl kalkulierenden Strategen verhedderten sich die
Fantasievollen. Selbst diese Brasilianer verschrieben sich dem
Ergebnisfussball, doch als sie gefordert waren, konnten sie den Hebel
nicht mehr umlegen.
Die Vorstellung, dass im «domestizierten Hochschul-Fussball»
(«Süddeutsche Zeitung») die hochbegabten Individualisten Lösungen
finden, bleibt bei dieser WM eine Illusion. Genauso wie die Hoffnung,
dass nun in den Halbfinals urplötzlich alle Fesseln abgelegt werden.
Dieser Illusion darf man sich bis 2010 auf ein Neues hingeben.
Quelle: Pressemitteilung Basler Zeitung