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Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Afghanistan

Archivmeldung vom 22.09.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.09.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der Westen vergisst schnell - die Taliban vergessen nicht. Wieder einmal möchte die Nato nach einem Anschlag der Islamisten am liebsten zur Tagesordnung übergehen. Auf ihr steht nur ein Punkt: die Taliban militärisch klein halten, um den geplanten Abzug der westlichen Truppen vom Hindukusch nicht zu gefährden.

Afghanistans Präsident Hamid Karsai weiß, dass das feige Selbstmordattentat auf seinen unmittelbaren Vorgänger nicht irgendein neues Verbrechen der Taliban gewesen ist. Burhanuddin Rabbani, ein gläubiger Moslem mit Philosophie-Studium, hat den Taliban noch Widerstand geleistet, als sie den Rest des Landes schon lange unter ihre Knute gebracht hatten. Und als sich vor zehn Jahren die Lage nach der Zerstörung des New Yorker World Trade Centers endlich drehte, war es wieder Rabbani, der an der Spitze der Mudschaheddin nach Kabul zurückkehrte und die Hauptstadt befreite.

Dass Karsai ausgerechnet ihn mit der Aufgabe betraute, Friedensgespräche mit den Taliban zu führen, war ein großes Risiko. Rabbani hat dafür mit dem Leben bezahlt. Seine Ermordung reiht sich ein in eine erschreckend hohe Zahl an Attentaten, denen in diesem Jahr schon erschreckend viele Vertreter der Regierung in Afghanistan zum Opfer gefallen sind. Die bekanntesten waren Ahmad Wali Karsai, der Bruder des Präsidenten, und Daud Daud, der Polizeichef von Nordafghanistan. Bei seiner Ermordung wurde Markus Kneip als erster Nato-General am Hindukusch verletzt. Weiter starben in den vergangenen Monaten der Bürgermeister von Kandahar sowie ein enger Berater Karsais. Von allen war bekannt, dass sie gefährdet sind. Entsprechend groß war der Sicherheitsaufwand, mit dem sie geschützt wurden. Es hat nichts genutzt.

In Afghanistan sind so viele Soldaten und sogar Angehörige ziviler westlicher Hilfsorganisationen gestorben, dass man fast vergisst, dass die meisten Opfer Afghanen sind. Die Hoffnung, das Land Stadt für Stadt und Region für Region alltagssicher zu machen, hat nicht nur durch Rabbanis Ermordung einen Rückschlag erlitten. Erst in der vergangenen Woche nahmen die Taliban im Diplomatenviertel Kabuls sogar das Isaf-Hauptquartier und die US-Botschaft 20 Stunden unter Beschuss.

An den Nato-Abzugsplänen ändert all dies wohl nichts. Die Attentate werden sogar als Zeichen gewertet, dass die Taliban inzwischen für eine offene Feldschlacht zu schwach seien - als ob sie jemals den Kampf auf offenem Feld gesucht hätten! Stattdessen setzen sie seit langem auf eine Irakisierung Afghanistans - also darauf, dass tägliche Attentate den Westen mürbe machen.

Und nun? Karsais Friedensgespräche liegen brach, bevor sie begonnen haben. Wenn überhaupt, können sie nur im Ausland geführt werden. Aber wo? Doch es gibt nur die Alternativen: Gespräche - oder Kampf bis zum Sieg. Wer vorher geht und Afghanistan den Taliban überlässt, setzt auf das kurze Gedächtnis des Westens. Das ist von allen Strategien die unmenschlichste.

Quelle: Westfalen-Blatt (ots)

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