Rezessionssorgen nehmen zu
Archivmeldung vom 04.06.2022
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.06.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićNun ist sie da: die Acht vor dem Komma. In der gerade abgelaufenen Woche ist die Inflationsrate für die Eurozone bekannt gegeben worden. Im Schnitt dürfen die Verbraucher für ihren Warenkorb nun 8 % mehr ausgeben als vor Jahresfrist. Treiber dieser Teuerung sind sicher noch pandemiebedingte Faktoren, aber in erster Linie nun der Ukraine-Krieg und die damit im Zusammenhang stehenden Energie- und Rohstoffpreisexplosionen. Sie sorgen zu Recht für viel Kopfzerbrechen.
Investoren und vor allem Verbraucher sorgen sich, dass es mit den Teuerungsschüben noch weitergehen könnte und vor allem fragen sie sich, wie sie diese noch schultern sollen. Rufe nach einem Gegensteuern, das zum Teil wie im Falle der US-Notenbank schon eingesetzt hat, werden immer lauter. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) soll im Urteil vieler Marktbeobachter und Volkswirte nun reagieren und die kreditpolitischen Zügel straffen, um der Inflation wieder Herr zu werden, die mittlerweile auf das Vierfache des Zielwertes von um die 2 % gestiegen ist. Und wahrscheinlich wird die EZB diesem Druck auch nachgeben und im dritten Quartal die Leitzinsen anheben.
Und wie fiel die Reaktion an den Märkten aus? Doch wohl eher sehr moderat. Mancher hatte vielleicht befürchtet, dass, wenn die Acht vor dem Komma steht, es zu heftigen Reaktion an den Finanzmärkten kommt, also raus aus risikobehafteten Assets, rein in sichere Häfen. Doch: Pustekuchen. Kein Ausverkauf bei Aktien. Kein Abschmieren an den Devisenmärkten. Der Goldpreis schoss auch nicht durch die Decke. Die Bundrenditen gingen auch nicht auf Tauchstation.
Aber die laufenden Verzinsungen der sicheren Benchmarkpapiere der Eurozone schossen in Erwartung eines verschärften geldpolitischen EZB-Kurses auch nicht nach oben. Die Renditen der Bundestitel setzten sich zwar weiter von ihrem historischen Tief ab, aber der kräftige Sprung nach oben blieb aus. Es erinnerte alles mehr an eine gelassene Reaktion. Der Markt scheint sich so langsam an das Inflationsthema gewöhnt zu haben, könnte man nach diesen Inflationsdaten durchaus meinen. Und von den Bondmärkten kam auch noch ein positives Signal, und zwar vom Segment der Unternehmensanleihen aus den USA. Erstmals in diesem Jahr wiesen die Anleihen der US-Firmen wieder positive Erträge auf. Hört, hört! Das galt nicht etwa nur für ein Segment, sondern für Investment-Grade-Corporates und die High-Yielder der US-Firmenlandschaft gleichermaßen (Letztere weisen ein Rating von "BB" oder tiefer auf). In den Monaten zuvor wurden sie immer nur abgestraft, fanden sich also auf den Verkaufslisten der Anleger wieder. Denn unter dem Eindruck von Pandemie, Rohstoffpreisexplosionen sowie einhergehenden Inflationsschüben, Lieferkettenproblemen sowie Ukraine-Krieg und negativen wirtschaftlichen Implikationen trennten sich Anleger von Unternehmensbonds aus den USA und nicht nur aus jenem Währungsraum.
Hinter dem nun wieder aufgeflammten Interesse steht zweierlei. Zum einen ermutigen die gesunkenen Kurse der Papiere zum Einstieg, das ist bei Aktien nicht anders. Zum anderen steht dahinter auch die Erwartung, dass es die Firmen in Sachen Leitzinsverschärfung in den USA nicht so stark treffen wird, sie also unter Leitzinserhöhungen der US-Notenbank nicht so stark leiden müssen. Aber warum?
Das liegt auf der Hand. Mehr und mehr gehen Anleger davon aus, dass die wirtschaftlichen Implikationen angefangen von der Pandemie bis hin zum Ukraine-Krieg auf längere Sicht die Inflationsfolgen dieser Faktoren überlagern werden. So ist für manche Bankhäuser die Rezession in Europa, aber auch in anderen Volkswirtschaften Ende kommenden Jahres schon der Base Case. Und wenn die EZB im dritten Quartal dieses Jahres mit den Leitzinsanhebungen beginnt und Ende nächsten Jahres bereits die Rezession nicht mehr nur Befürchtung am Markt, sondern bereits Realität ist, ist selbstredend nicht viel Zeit vorhanden, die Leitzinsen heraufzusetzen, einerseits um der Inflation Einhalt zu gebieten, andererseits um sich einen Puffer für die wirtschaftliche Abkühlung oder gar Talfahrt zu schaffen - will heißen: Spielraum für dann erforderliche Zinssenkungen zu schaffen. Und in diesem Umfeld werden die Bondrenditen auch nicht so stark steigen, die Refinanzierungskosten der Unternehmen nicht noch mehr erhöht und damit die Fähigkeit, den Schuldendienst gut leisten zu können, für die Unternehmen nicht eingeschränkt. Bleibt eigentlich nur abzuwarten, wie heftig die Rezession ausfällt und wie stark die Unternehmen auf der Erlösseite getroffen werden. Das könnte wiederum sehr unangenehm werden.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Kai Johannsen