WAZ: Schulreformen begleiten
Archivmeldung vom 01.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWie wechselt man der Lok im vollen Lauf die Räder? Geht nicht, sagen Sie. Wie setzt man Schulreformen - gern im Dutzend - um? Muss gehen, und zwar schleunigst, sagen die Politiker (übrigens auch all' jene, die vor der jetzigen Regierung das Sagen hatten). Dass sie Veränderung fordern, ist richtig. Dass sie Veränderung durch blinden Aktionismus stören und verhindern, ist leider vielfach die Realität.
Politiker haben es gut. Klassenräume sehen sie nur von innen,
wenn die schön aufgeräumt sind und die Kinder sorgsam ausgewählt und
eingestimmt auf den hohen Besuch. Kein Wunder, dass Minister gern
glauben: Eigentlich alles bestens im Alltag. Selbst wunderbar
vorzeigbare Hauptschulen können sie bestaunen und loben.
Politiker erkennen deshalb selten, dass die Realität von Lehrern,
Kindern und Eltern oft eine andere ist. Ob sie die wirklich sehen
wollen, ist fraglich. Klar ist nur: Die deutschen 15-Jährigen sind im
Weltvergleich gerade gutes Mittelmaß und zugleich zu alt. Also müssen
die Schulen besser und schneller arbeiten, die Kinder zügiger und
disziplinierter lernen. Der Druck ist in den letzten Jahren spürbar
gestiegen, ob die Ergebnisse dadurch besser werden, sehen wir leider
erst in zehn Jahren.
Heute schon ist offensichtlich: Es reicht nicht, ein Gesetz
anzureichern mit schönen Zielen. "Individuelle Förderung" ist immer
gut, auch eine "Qualitätskontrolle" der Schulen ist richtig und
überfällig. Und die "Entschlackung" überfrachteter Lehrpläne wird
jede Lehrkraft aus vollem Herzen begrüßen. Aber es reicht nicht, dies
und vieles mehr nur zu verfügen. Zu viel fehlt, damit richtige Ziele
in den Schulen Alltag werden.
Sechs Jahre nach Pisa muss jede Schule alle möglichen Wünsche von
Eltern, Schülern und Politik erfüllen - und zugleich für sich das Rad
neu erfinden: Wie wird Mathe und Physik interessant? Wie erkennt man
die Schwächen einzelner Kinder? Wie geht man um mit rabiaten oder
resignierten Schülern? Wie findet sich ein Kollegium von
Einzelkämpfern zum funktionierenden Team zusammen? Eine systematische
Fortbildung, flächendeckend und von guter Qualität, findet nicht
statt. Zu teuer, sagen die Politiker. So bleiben 6500 Schulen sich
selbst überlassen.
Dass Schulen aber nicht einmal erfahren, welche Erleichterungen
der Arbeit Experten für sie erdacht haben, ist allerdings der Gipfel.
Da hapert es offensichtlich an viel mehr als an der Kommunikation.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Sigrid Krause)