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Berliner Morgenpost: Ein absurder Kassenstreit

Archivmeldung vom 02.11.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.11.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Mitte Juni sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel: "Ich wehre mich gegen eine rein statische Betrachtungsweise, dass wir erst Schulden abtragen und erst dann entlasten können." Die schwarz-gelbe Koalition folgte seiner Auffassung aus eigenem Antrieb. Sie beschloss, 24 Milliarden Euro Entlastung für die Steuerzahler in der Koalitionsvereinbarung festzuschreiben.

Eine Woche nach deren Verabschiedung auf Parteitagen der drei Koalitionsparteien sagte Keitel gestern, die Priorität des BDI laute nun jedoch: "Haushalte konsolidieren. Das ist wichtiger als umfassende Steuersenkungen." Binnen vier Monaten hat der BDI seine Haltung zum zentralen Wahlkampfversprechen Angela Merkels ins Gegenteil verkehrt, ohne dass sich die Gesamtlage grundsätzlich gewandelt hätte. Ein Verbandschef steht zwar unter dem Druck von Mitgliedern, die vielleicht nicht alle die frühere Position gutgeheißen haben. Trotzdem ist ein solcher Zickzackkurs kaum geeignet, die Resonanz und den Einfluss der Arbeitgeber im Kanzleramt zu steigern. Merkel hatte Steuersenkungen versprochen - es war auch im Wahlkampf schon ersichtlich, dass diese nicht kurzfristig gegenfinanziert werden können. Richtig war es trotzdem, denn die Rezessionsabwehr muss schnell erfolgen, während Strukturreformen im Sozialsektor oder im Mietrecht ihre Zeit benötigen. Solche Reformen hatte Hans-Peter Keitel ebenfalls angemahnt. Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung - gemessen aber wird in einer Krise zu Recht mit zweierlei Zeitmaß. Eine vergleichbar sprunghafte Haltung nehmen manche Länderchefs ein, auch solche, die mit in der Koalitionsrunde saßen. Verfassungsklage gegen Steuersenkungen will da sogar einer von ihnen einreichen. Von den protestierenden CDU-Ministerpräsidenten wäre es nun interessant zu hören, ob das CDU-Statut nun gilt oder nicht. Dem Statut gemäß entscheidet ein kleiner Parteitag über den Koalitionsvertrag. Ein solcher Parteitag hat den Vertrag einstimmig gebilligt. Lesen die Ministerpräsidenten Zeitung? Sehen sie fern? Wenn die Länderchefs glauben, Koalitionsverträge und Bundesgremien ihrer eigenen Partei seien nur lästiges protokollarisches Beiwerk auf dem Weg zum politischen Barrikadenkampf, dann verlieren sie Vertrauen, sie verlieren Respekt, sie schaden der Kanzlerin. Die Bundesregierung wird ihnen als Antwort womöglich einmal die Pistole bei Themen auf die Brust setzen, die den Ländern mehr nutzen als dem Bund. Steuersenkungen waren seit Monaten, ja seit Jahren ein Zentralthema Angela Merkels. Die Verschuldungshöhe war bekannt, ebenso der Stellenwert ausgabenwirksamer neuer Familienleistungen im Denken der CDU. Zu behaupten, "Steuersenkungen auf Pump" seien eine Überraschung, ist für gestandene Ministerpräsidenten und Verbandschefs so absurd wie die Empörung von Kunden über den angeblich völlig überraschenden Zahlungsvorgang an der Ladenkasse.

Quelle: Berliner Morgenpost

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