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Mittelbayerische Zeitung: Arm, aber gelassen

Archivmeldung vom 23.05.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.05.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Bremen sitzt auf einem riesigen Schuldenberg. Bremen verzeichnet die höchste Arbeitslosenquote in Westdeutschland. In Bremen lernen die Schüler laut PISA-Studien am wenigsten. Bremen ist arm, so wie Berlin. Doch während man in der Bundeshauptstadt behauptet, dafür sexy zu sein, bleibt man an der Weser lieber hanseatisch gelassen - zumindest was Wahlen betrifft. Obwohl die Sozialdemokraten seit 65 Jahren Bremen und Bremerhaven regieren und daher für die Probleme verantwortlich gemacht werden können, wurde Bürgermeister Jens Böhrnsen gestern deutlich bestätigt.

Die Spitzenkandidatin des Koalitionspartners Grüne, Karoline Linnert, zeichnete in den vergangenen vier Jahren als Finanzsenatorin unter anderem für Haushaltssperren verantwortlich und trotzdem konnten die Grünen nochmal deutlich zulegen. Die klare Bestätigung einer Landesregierung macht Bremen fast schon zu einer Ausnahme in Deutschland. In Hamburg und Baden-Württemberg wurden in diesem Superwahljahr Regierungen von den Wählern aus dem Amt gekegelt, in Rheinland-Pfalz konnte sich Dauerministerpräsident Kurt Beck nur gerade so nochmal durchs Ziel retten. Natürlich hat der Bundestrend die Wahlen in Bremen massiv beeinflusst, dieser Urnengang zeigt aber auch, dass überzeugende Politiker die Chance haben, Ergebnisse vor Ort stark zu beeinflussen. Die SPD in Bremen blieb stark, obwohl die Grünen zulegen konnten. Und das obwohl die SPD auf Bundesebene weiter im Umfragetief verharrt, sich zur Unzeit eine Kanzlerkandidatendebatte leistet und nicht vermittelt, wofür sie eigentlich steht. Für den Föderalismus ist das relativ gelassene Wahlverhalten der Bremer daher als Erfolg zu werten. Eigenständige und persönlich überzeugende Politik im Stil von Böhrnsen zahlt sich beim Wähler immer noch aus. Die Bundespolitik liest natürlich trotzdem aus dem Wahlergebnis Hinweise für die eigene Politik heraus. Die CDU muss mit der schmerzlichen Erkenntnis leben, dass sie als Großstadtpartei massive Probleme hat. In Bremen ist sie hinter der SPD und den Grünen nur mehr dritte Kraft. Das schmerzt. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat vergeblich versucht, durch ein paar Kraftsprüche in Richtung Europa Anhänger für die Union zu mobilisieren. Die Kehrtwende in der Energiepolitik hat noch dazu viele Bürger eher verwirrt als überzeugt. Generell gilt: Nur bei den Senioren kann die Union noch auf Mehrheiten hoffen. Doch selbst diese Wählertrutzburg kommt demografisch bald ins Wanken. Die Grünen zogen vor 32 Jahren in Bremen zum ersten Mal in ein deutsches Landesparlament ein. Das heißt aber auch, dass viele der jungen Protestwähler von damals mittlerweile sich dem Rentenalter nähern. Es ist daher vielleicht nur mehr eine Frage der Zeit, bis die Grünen auch bei den über 60-Jährigen auf mehr Zuspruch hoffen können - selbst wenn Fukushima nicht mehr die Wahlkämpfe beeinflusst. Bei der FDP weist die neue Führungsriege um Philipp Rösler eine Mitverantwortung für die Wahlschlappe an der Weser natürlich weit von sich. Der Wechsel an der Parteispitze sei schließlich erst vor einer Woche erfolgt, das könne sich noch nicht auswirken. Das stimmt aber nur zum Teil. Rösler machte in den vergangenen Tagen kräftig Wahlkampf in Bremen. Als früherer Wirtschaftsminister von Niedersachsen ist Rösler noch dazu in Bremen kein ganz unbekannter Politiker. Das desaströse Ergebnis liefert insofern schon einen Hinweis darauf, dass die FDP mehr präsentieren muss als neue Köpfe.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)

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