WAZ: Klimaschutz: Was es kostet, nichts zu tun - Kommentar von Jürgen Polzin
Archivmeldung vom 07.11.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlDas größte Missverständnis, unter dem die Klimaschutzpolitik zu leiden hat, ist die in der Öffentlichkeit verbreitete Ansicht, dass wir Zeit hätten. Der größte Irrtum im Umgang mit dem Problem der globalen Erwärmung ist der Glaube, dass wir in einem aus den Fugen geratenen Klimasystem noch die Notbremse ziehen und aussteigen könnten.
Und nichts bringt die Ahnungslosigkeit
und die Ignoranz besser auf den Punkt als die Behauptung, der
Klimawandel sei ein Problem von morgen, nicht eines von heute. Warum
sich also sputen?
Vor wenigen Tagen hat die neue britische Außenministerin Margaret Beckett in einer bemerkenswerten Rede eine Antwort darauf gegeben. Klimaschutz sei keine Option, für die man sich entscheiden könne oder nicht, sondern ein zwingendes Gebot. Denn die Frage, ob und wie man jetzt der globalen Erwärmung begegnet, entscheide darüber, wie sicher wir künftig leben werden. Lebensmittel, Wasser, Energieversorgung, politische und ökonomische Stabilität: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Was heißt das konkret? Wissenschaftler rechnen damit, dass
steigende Temperaturen in Afrika, im Nahen Osten oder in Südasien
Ernteausfälle und Hungersnöte verursachen werden. Dürren werden
Kriege um Wasser anheizen. Die Welt wird eine neue Völkerwanderung in
Gestalt von Klimaflüchtlingen erleben. Der Klimawandel, und das ist
klar, wird den Graben zwischen Arm und Reich noch tiefer reißen. Doch
auch Europa, der größte Binnenmarkt der Welt, wird um seinen
Wohlstand bangen müssen, falls das Nichtstun weitergeht. Eine
britische Studie rechnet vor, dass die volkswirtschaftlichen Schäden
des Klimawandels jährlich fünf Prozent des globalen
Bruttoinlandsproduktes rauben. Jetzt und in Zukunft. Klimaschutz ist
keine Wohlfühl-Ökologie, sondern knallharte Friedens- und
Wirtschaftspolitik. Ökonomen, nicht Öko-Aktivisten sind es, die eine
einfache Rechnung präsentieren: Der Nutzen, im Klimaschutz
entschlossen zu handeln, übersteigt bei weitem die Kosten, die
anfallen, wenn nichts getan wird.
Das gibt zu denken in einer Zeit, in der Deutschland nicht wohin weiß mit den zusätzlichen Steuermilliarden, für den Ausbau und die Förderung erneuerbarer Energien jedoch mit jedem Cent geizt. Das Klima aber hat keine Bremse. Und egal, was auf der Klimakonferenz in Nairobi, die nun begonnen hat, am Ende herauskommt: In den nächsten zehn, zwanzig Jahren sind die Folgen der globalen Erwärmung festgeschrieben. Doch was danach kommt, an dieser Stellschraube können wir noch drehen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung