Leipziger Volkszeitung zu Kyrill
Archivmeldung vom 20.01.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKyrill? War das nicht damals dieser Orkan? In fünf oder zehn Jahren werden die meisten Menschen ein Weilchen überlegen müssen, um sich an jene Nacht im Januar 2007 zu erinnern.
Die jüngste Katastrophe war anders als
die Wassermassen, die 1962 Teile Hamburgs überschwemmten und sich
tief ins Gedächtnis gruben. Kyrill lässt sich schwerlich vergleichen
mit dem unvergesslichen Kälteschock, unter dem Ostdeutschland zum
Jahreswechsel 1978/79 erstarrte, oder mit der traumatisierenden
Jahrhundertflut von Elbe und Mulde 2002. Dabei hatte der stürmische
Kyrill ein durchaus vergleichbares Zerstörungspotenzial, er forderte
Menschenleben und hat materielle Schäden verursacht, die sich vorerst
kaum ermessen lassen. Aber er hinterlässt trotz einiger Verwüstung im
öffentlichen Bewusstsein nicht das lähmende Gefühl, den Naturgewalten
gänzlich schutzlos ausgeliefert zu sein.
Das ist vor allem ein Verdienst der Meteorologen. Vor viereinhalb
Jahren waren die Wassermassen von den Hängen des Erzgebirges
geströmt, ohne dass die meisten Betroffenen die Katastrophe erahnt
hatten. Diese bittere Erfahrung hat die Wetterkundler sensibilisiert.
Sie warnen seither lieber dreimal zu viel als einmal zu wenig - und
diesmal warnten sie eindringlich. So konnten die meisten Zeitgenossen
rechtzeitig ihr Zuhause erreichen. Der Wind peitschte ihnen nicht ins
Gesicht, sondern lediglich gegen die Fensterscheiben. Was blieb, war
die Sorge, eine Bö könnte die Ziegel vom Dach wehen oder Äste auf das
Auto vor dem Haus krachen lassen. Wer den Fernseher anschaltete,
erlebte, wie Reporter - welch irrwitzige Idee - mit zerzausten Haaren
im Freien herumstanden, nur um zu bezeugen, was ohnehin jeder wusste:
Es stürmt. Allerdings rüttelte Kyrill so heftig an Stromleitungen und
Sendemasten, dass einem Teil des Publikums die grotesken
Live-Schaltungen erspart blieben. Feuerwehren und Rettungskräfte
standen dank der frühzeitigen Warnung in verstärkter Bereitschaft,
als die Wetterfront nahte. Die Männer und Frauen zeigten vollen
Einsatz, ohne dass der Eindruck von Chaos entstand.
In Dresden und Leipzig konnten Flieger übrigens trotz des starken
Windes starten und landen, Straßenbahnen und Busse trotzten
gleichfalls der Sturmgewalt - und die Taxibranche freute sich über
jede Menge Fernfahrten. Denn die Eisenbahnen standen still. Als der
Zugbetrieb noch Teil des Staatswesens war, blieb es undenkbar, in
Deutschland den Schienenverkehr vollkommen einzustellen. Selbst in
schwersten Kriegszeiten fuhren Züge. Diesmal schlichen sie nicht
einmal auf baumlosen Nahverkehrsstraßen. Das war wohl nicht
ausschließlich eine fürsorgliche, sondern zugleich eine nüchtern
kalkulierte Entscheidung. Das Unternehmen beugte Schäden am Fuhrpark
vor. Die Kunden können allenfalls im Einzelfall auf die Kulanz der
Bahn hoffen. Ansonsten bleiben sie - wegen höherer Gewalt - auf ihren
Taxi- und Hotelrechnungen sitzen und können die Belege als
Gedächtnisstütze aufheben, um sich in fünf oder zehn Jahren zu
erinnern: Ach, das war doch damals, als Kyrill ...
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung