Westdeutsche Zeitung: Jan Ullrich
Archivmeldung vom 15.04.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie verlorenen Millionen werden ihn nicht zum armen Mann machen. Und dennoch bleibt am Ende Mitgefühl für Jan Ullrich. Ein Jahrhundert-Talent, das zum Spielball seiner Berater wurde, kann man keineswegs von Vorwürfen freisprechen, aber die Entscheidung der Bonner Staatsanwälte, die Ermittlungen gegen ihn einzustellen, sind nachvollziehbar.
Denn Ullrich hat sich selbst schon um alles gebracht, was ihn über seine Karriere hinaus zu einem bleibenden Idol gemacht hätte. Er hat auf die falschen Leute gehört, er hat sich seine eigene Welt zurecht gezimmert und am Ende jeden Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Die Staatsanwälte bescheinigen Ullrich ausdrücklich "kriminelle Energie" in nur geringem Umfang. Ullrich ist ein Betrüger, der nicht nur sich selbst, sondern eine ganze Sportart nachhaltig beschädigte. Alle, die sich früher gerne mit ihm zeigten, wendeten sich ab, als das Denkmal zu bröckeln begann. In dieser Phase hätte Ullrich Freunde gebraucht. Er hatte sie nicht. Dabei war er in einer manipulierten Szene, in der es kein Unrechtsbewusstsein gibt, nur einer unter vielen. Sportlich war er einmalig, aber den Weg aus der Sackgasse fand er trotzdem nicht; es wurde immer einsamer um ihn. Hätte er rechtzeitig reinen Tisch gemacht, wäre er trotz verlorener Illusionen als ein Ausnahmeathlet in Erinnerung geblieben, der Millionen in seinen Bann schlug. Keiner, der diesen Sport liebt, wird seinen Tour-Sieg vergessen können, seine Duelle mit Lance Armstrong. Aber man wird sich immer in dem Bewusstsein an Ullrich erinnern, dass er manipuliert hat. Ullrich wird sich aber auch nach dem Freispruch dritter Klasse von Bonn immer noch zu Unrecht verfolgt fühlen, und jedem zu versichern versuchen, dass er nie etwas Unrechtes getan, nie betrogen und schon gar nicht mit einem Mediziner wie Eufemiano Fuentes zusammengearbeitet habe. Ullrich ist am Ende trotz aller Verfehlungen weniger Täter als Opfer. Er wird sich weiter umjubelt fühlen, weil er in seiner eigenen Welt lebt. Und nicht registrieren kann, dass er gar nicht mehr zur Kenntnis genommen wird. Was ein Held hätte werden können, bleibt am Ende nicht mehr als eine Anekdote der Radsportgeschichte. Tiefer kann einer wie Ullrich nicht fallen.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Christoph Fischer)