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Ein Schritt vor und zwei zurück

Archivmeldung vom 22.11.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.11.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić

Natürlich ist es reine Symbolpolitik. Aber kann es sein, dass die Evangelische Kirche in Deutschland gerade konkretere Maßnahmen gegen den Klimawandel beschlossen hat als die grob geschätzt 34000 Teilnehmer des Weltklimagipfels? Spritsparende 100 km/h sollen Kirchenvertreter auf der Autobahn mit ihren Dienstwagen künftig höchstens fahren. Schließlich sei es Auftrag der Kirche, die Schöpfung zu bewahren, begründete die EKD-Synode ihre Entscheidung. Die evangelische Entdeckung der Langsamkeit wird einen äußerst überschaubaren Effekt auf das Weltklima haben. Aber in einer an Symbolen reichen Klimapolitik bietet sie zumindest etwas Konkretes.

Anders als das Gros der Beschlüsse auf der am Sonntag zu Ende gegangenen Weltklimakonferenz in Scharm El-Scheich. Viel wird gefordert im Last-Minute-Kompromiss für das Abschlussdokument. Im Grunde aber, so monieren viele Teilnehmer, gehe er nicht über die Ergebnisse der letzten Klimakonferenz in Glasgow hinaus. Und selbst das ist, glaubt man Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, nur auf Druck westlicher Staaten gelungen.

Ohne Zweifel: Die Einigung auf einen Ausgleichsfonds für Klimaschäden in ärmeren Ländern ist ein bedeutsamer Durchbruch. Nur bleibt sein Volumen ebenso ungeklärt wie die hochsensible Frage, wer eigentlich einzahlen muss und wer Geld aus dem Fonds beanspruchen kann. Unwillkürlich drängt sich einem das in Jahrzehnten kreativen Umweltaktivismus überstrapazierte Gedicht in den Kopf, das mit der Zeile endet, "dass man Geld nicht essen kann".

Realität ist, dass sich bei der Vorsorge gegen Klimaschäden in Scharm El-Scheich nichts bewegt hat. Das Ziel eines schrittweisen Ausstiegs aus der Kohle bestand schon vorher. Für einen Ausstieg aus Öl und Gas fand sich keine Mehrheit. Und das 1,5-Grad-Ziel hat es nur mit Mühe überhaupt ins Dokument geschafft. Die Gipfelstaaten befinden sich klimapolitisch im Rückwärtsgang.

Dass Außenministerin Annalena Baerbock deshalb beklagt, einige wenige Länder leisteten "erbitterten Widerstand", was "mehr als frustrierend" sei, ist natürlich ein medienwirksames Statement. Aber auch ein bisschen unehrlich. Deutschlands Energiepolitik der letzten Monate taugt nun wirklich nicht zum Klimaschutz-Vorbild: Gaspreisbremse, Strompreisdeckel, Tankrabatt - und eine brachiale, angstgetriebene Öl- und Gas-Einkaufstour, die dazu beigetragen hat, die Preise für fossile Energieträger zeitweise auf Rekordhöhen zu katapultieren.

Anreize zum Energiesparen oder zu einem konsequenten Ausstieg aus klimaschädlichen Energiequellen liefert das nicht. Stattdessen dümpeln vor der deutschen Küste LNG-Tankschiffe, die ihre teure Fracht kaum abladen können, weil es an Infrastruktur fehlt. Immerhin konnte sich die Republik vergangene Woche über ein schwimmendes LNG-Terminal in Wilhelmshaven freuen, das in einem Anfall bürokratischer Effizienz bereits nach 200 Tagen einsatzbereit ist.

Aber ist es Ihnen auch aufgefallen? Der Begriff "Erneuerbare" ist bislang noch gar nicht vorgekommen. Versorgungssicherheit schlägt Klimaschutz, die Inflationsangst ist größer als die Sorge um die Zukunft künftiger Generationen. Seien wir ehrlich: Am Ende ist die Klimapolitik nur ein Spiegel unserer eigenen Prioritäten.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Lutz Knappmann


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