Westdeutsche Zeitung: US-Vorwahlen
Archivmeldung vom 05.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKritikern der US-Politik Antiamerikanismus vorzuwerfen, gehört zu den beliebtesten Waffen Konservativer im Meinungskampf. Da ist es ganz gut, dass die Begeisterung, mit der gerade wir Deutschen den Vorwahlkampf in den USA verfolgen, eine ganz andere Sprache spricht.
Warum sollten wir uns so sehr für parteiinterne Vorgänge in einem fremden Land interessieren (denn um mehr handelt es sich genau genommen ja nicht), wenn uns das Schicksal Amerikas nicht besonders am Herzen läge? Natürlich weiß jeder Europäer um die Bedeutung der Präsidentschaftswahlen. Von der Frage, wer im Weißen Haus regiert, hängen oft Krieg und Frieden ab. Wenn die US-Wirtschaft hustet, bekommt unsere Konjunktur eine Erkältung. Ein heftiger Schüttelfrost an der New Yorker Börse führt in Frankfurt sofort zu Erstickungsanfällen. Hinzu kommt, dass der Kampf um die Kandidatur bei den Demokraten einer gigantischen Show gleicht: Wird es ein Schwarzer oder eine Frau? Setzt sich das Herz durch oder der Verstand? Der entscheidende Faktor aber ist das absehbare Ende der Ära Bush. Kein anderer US-Präsident hat dem Ansehen seines Landes derart geschadet. Man müsste daher treffender von einem Anti-Bushismus sprechen, der zu einer enttäuschten Liebe zu Amerika gesorgt hat - einer Liebe, die wir nun wiederzuentdecken glauben, wenn wir den Reden Barack Obamas lauschen. Bush hat die USA ruiniert: wirtschaftlich, diplomatisch, militärisch. Er steht für die Schattenseiten Amerikas: für Überheblichkeit, Brutalität, Amoralität. Rechte und Linke auf der ganzen Welt sind froh darüber, dass sie Bush bald los sind. Obama dagegen repräsentiert das gute Amerika. Plötzlich denken wir wieder an unbegrenzte Möglichkeiten, an Ideale wie Freiheit und Menschenrechte, auf deren Basis Veränderung stattfinden kann. Obama ist der personifizierte amerikanische Traum. Ob er sich am Ende gegen Hillary Clinton durchsetzt, deren Politik sich inhaltlich von der Obamas kaum unterscheidet, und ob Clinton oder Obama dann auch den Kandidaten der Republikaner besiegen können, steht auf einem anderen Blatt. Niemand sollte John McCain unterschätzen. Aber ganz gleich, was im November passiert: Amerika wird gewonnen haben.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Alexander Marinos)