Westdeutsche Zeitung: Rüttgers - Rente
Archivmeldung vom 06.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDieses Mal hat CDU-Chefin Angela Merkel die Gefahr deutlich schneller erkannt und reagiert: Gerade einmal vier Wochen durfte Jürgen Rüttgers den Eindruck erwecken, er habe die Lösung im Kampf gegen die Altersarmut gefunden. Sein Vorschlag einer steuerfinanzierten Sockelrente deutlich über Sozialhilfeniveau ist gestern vom CDU-Vorstand abgeräumt worden.
Ganz wie es dem Naturell der Kanzlerin entspricht, wurde der Vorschlag nicht mit dem Vorschlaghammer zertrümmert, sondern mit der Samt-Kordel erdrosselt. Merkel hat dem selbst ernannten Arbeiterführer aus Düsseldorf die Grenzen aufgezeigt. Ein zweites Debakel wie bei der Revision von Hartz IV konnte und wollte sie nicht zulassen. Dieses Mal hatte es die Bundesregierung auch deutlich einfacher, Rüttgers ins Leere laufen zu lassen. Seine Vorschläge zielten im Kern auf einen Systemwechsel bei der Rente hin - nicht mehr die Beitragshöhe, sondern die Jahre wollte Rüttgers zum Gradmesser für angemessene Altersbezüge auch für lebenslang kontinuierlich arbeitende Geringverdiener machen. Das ist der gravierende Unterschied zur Rüttgers-Initiative bei Hartz IV: Der Vorschlag, älteren Arbeitslosen länger Arbeitslosengeld I zu zahlen, deckte sich mit dem bestehenden Versicherungssystem. Seine Renten-Idee ist durch nichts finanziert, außer durch ungedeckte Steuer-Schecks. Gleichwohl ist der Beschluss der Bundes-CDU kein offener Affront gegen den Chef des mitgliederstärksten Landesverbands und Ministerpräsidenten des wichtigsten Landes. Das entspricht auch nicht dem Merkelschen Machtsystem. Sie will natürlich, dass Rüttgers NRW von einem SPD-Stammland zu einem Wir-sind-ja-gar-nicht-so-schlimm-CDU-Land ummodelt. Ohne ein gutes CDU-Ergebnis in NRW ist noch kein Unions-Politiker Kanzler geworden oder geblieben. Und da treffen sich die Interessen: Rüttgers will mit seinen sozialpolitischen Ideen natürlich auch seine bundespolitischen Ambitionen befördern, die ihn mal nach ganz oben spülen sollen. Aber im realpolitischen Hier und Jetzt bedient er das Bauchgefühl der Wähler: Es muss gerecht zugehen im Land. Das bleibt haften. Und deswegen kann er mit dem blauen Auge aus Berlin in Düsseldorf ganz gut leben.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Frank Uferkamp)