Lausitzer Rundschau: Ui EU-Gipfel/Blair: Auf zum großen Palaver
Archivmeldung vom 27.10.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Erwartungen sind gering, wenn Tony Blair heute seine Kollegen zum Quartalsgipfel der EU lädt. Denn Europas Führung ist sauer auf den britischen Premier. Der hatte Hoffnungen geweckt und seine Ratspräsidentschaft im Juni mit wortgewaltigen Reformversprechungen angetreten – um dann buchstäblich in der Versenkung zu verschwinden.
Der Gipfel von Hampton Court sollte jetzt alles wieder gutmachen:
Blair wollte sich als kraftvoller Motor des behäbigen Kontinents
präsentieren. Daraus wird aber wohl nichts. Sowohl seine Kollegen als
auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso haben dem Briten
einen kräftigen Strich durch die Rechnung gemacht. Zuerst zwangen sie
ihn, den Zweitagesgipfel zu kürzen. Dann preschte Barroso mit seiner
Initiative „Europas Werte in der globalisierten Welt“ vor und
vermasselte Blair seine Lieblingsrolle als Reformer der EU. Gerade
mal sechs Stunden haben die 25 Staats- und Regierungschefs nun Zeit,
um zu beraten, wie Europa seine Zukunft meistern, für die
Globalisierung gerüstet werden kann. Eine Zieldiskussion also –
allerdings ohne Ziel. Denn schon im Einladungsschreiben gab der
Premier zu verstehen, dass Beschlüsse nicht erwünscht sind. So wird
das Spitzentreffen wohl zur Kaminrunde. Streng genommen bestimmt
jetzt Barroso die Diskussion. Mit seinem Grundsatzpapier schlägt er
den Kompromisston an, mit dem er die beiden Schulen vom sozialen
beziehungsweise marktwirtschaftlichen Kontinent zu versöhnen sucht.
Mit seiner Initiative hat der Kommissionspräsident Blair das Heft aus
der Hand genommen. In Hampton Court dürfen Pläne geschmiedet und Wege
gesucht werden. Die eigentlichen Probleme aber werden nicht
angetastet. Die heftig umstrittene künftige Finanzausstattung der EU
– auch und vor allem für die ostdeutschen Bundesländer von enormer
Bedeutung – soll erst auf dem Dezembergipfel beraten werden. Und vom
ehrgeizigen Verfassungsprojekt, das derweil durch das Nein zweier
Referenden auf Eis liegt, will Blair schon gar nichts hören. Das wird
der Brite wohl an Österreich und Finnland vererben, die im kommenden
Jahr die EU-Führung übernehmen. Damit hätte der Labour-Mann dann ganz
Europa gezeigt, dass er Debatten zwar anstoßen, aber nicht zu
Lösungen führen kann.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau