LVZ: Kassenbeitrag wird zum Politikum
Archivmeldung vom 04.10.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMan stelle sich vor: Zwei Ärzte streiten im OP-Saal, ob der schwer kranke Patient durch Amputation oder Transplantation zu retten sei. Und da sie sich nicht einigen können, verschieben sie die Operation, verordnen Aspirin und warten auf den Moment, da der ungeliebte Kollege das Haus verlässt. Was ein medizinischer Skandal erster Güte wäre, darf die Politik als Tagesgeschäft betreiben.
Weil die bevorzugte Therapie für das kranke Gesundheitssystem bei Union Kopfpauschale und bei SPD Bürgerversicherung lautet, entstand als Kompromiss der Gesundheitsfonds, den beide nach der nächsten Bundestagswahl im Falle wechselnder Mehrheiten wieder einschläfern wollen. Heilung ist nicht in Sicht. Damit Patient Gesundheitswesen durchhält, hilft weiter nur beten. Dabei wäre eine grundlegende Reform bitter nötig. Damit Patienten genau die Therapie erhalten, die sie brauchen statt einer, die den Behandlern das meiste Geld bringt. Doch - um im Bilde zu bleiben - selbst um die Dosierung der Aspirin-Tablette, den Beitrag für die gesetzlichen Krankenkassen, wird noch gestritten. Einerseits wollte die Bundesregierung die Lohnnebenkosten senken, andererseits hat sie den Krankenhäusern drei Milliarden Euro und den Ärzten 2,5 Milliarden Euro für Honorare zugesagt. Und die Arzneikosten klettern auch. All das will gegenfinanziert sein. Damit wird der erstmals von der Bundesregierung selbst verordnete einheitliche Krankenkassenbeitrag endgültig zum Politikum. Dass er nach oben geht, steht außer Frage. Steigt der Beitrag aber zu stark, bringt er Merkel, Schmidt und Co. ausgerechnet im Wahljahr in Erklärungsnöte. Steigt er zu gering, werden viele Krankenkassen das nicht überstehen. Die Bundeskanzlerin müsste jetzt das tun, was ihr am wenigsten liegt:Klartext reden. Und die Kassenzahler über Risiken und Nebenwirkungen aufklären. Wenn nämlich die Arbeitslosigkeit wieder steigt und die Lohnsumme schrumpft, werden die Kassen rasch zu Nachforderungen gezwungen sein. Doch deutet vieles daraufhin, dass statt klarer Worte erneut nur gemogelt wird. Steuerzuschüsse aus anderen Töpfen, um den Beitrag gering zu halten, sind letztendlich ebenso ein Bluff wie sinkende Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die den Topf der Bundesagentur für Arbeit angreifen. Bezahlen aber muss es in jedem Fall der Bürger. Was ihn am meisten erbosen wird, ist, dass sich das Gesundheitssystem dabei nicht verbessert. Die langen Wartezeiten auf Arzttermine bleiben und auch das Praxensterben in strukturschwachen Gegenden geht weiter. Nur dass es künftig mit noch mehr Bürokratie verbunden sein wird.
Quelle: Leipziger Volkszeitung