Lausitzer Rundschau: Präsidentschaftswahlen in der Türkei
Archivmeldung vom 20.08.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Wahl von Abdullah Gül zum Präsidenten der Türkei ist im Rahmen der geltenden Verfassung des Landes nicht mehr aufzuhalten. Nur ein Putsch der Armee könnte den Aufstieg des engen Vertrauten von Ministerpräsident Recep Ergdogan und frommen Muslime noch verhindern. Der kluge Schachzug von Erdogan, sich durch Neuwahlen bestätigen zu lassen, hat den Massenprotesten gegen Gül die Spitze genommen.
Erdogan, Gül und deren islamisch-konservative
Regierungspartei, die AKP, haben ein demokratisches Mandat. Und mit
der Wahl von Gül könnte in der Türkei auch eine Ära zu Ende gehen.
Das Land stand seit der Auflösung des osmanischen Reiches und den
großen Reformen des Kemal Atatürk in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts unter der Vormundschaft der Generäle. Deren bestimmender
Einfluss auf die Politik wurde zu Recht mit einer Erziehungsdiktatur
verglichen. Erst Erdogan, der so ganz gegen ihre Traditionen steht,
gelang der Schritt in die Unabhängigkeit.
Paradoxerweise hat ausgerechnet die islamistische AKP in wenigen
Jahren die Türkei dem Westen viel näher gebracht als es all die
vielen Vorgängerregierungen vermochten. Das Land ist auf dem Weg zu
einem Rechtsstaat, die große kurdische Minderheit kann anfangen, sich
auch legal zu organisieren und die Schatten der Vergangenheit,
insbesondere der Völkermord an den Armeniern, werden immer offener
benannt. Möglich aber wurde dies alles, weil die Türkei Jahre eines
stetigen wirtschaftlichen Aufschwungs erlebt hat. Wie krisenfest das
Bekenntnis der Islamisten zur Demokratie tatsächlich ist, weiß heute
keiner. Und die zunehmende Bedrohung religiöser Minderheiten gibt
Anlass zur Sorge. Aber es gibt keine Alternative zum Respekt vor der
Entscheidung der Mehrheit der Türken. Es gibt nur die Hoffnung, dass
die neu bestimmten Freiheiten des Landes über das Glaubensbekenntnis
zum Islam hinaus ein Klima der Toleranz und der Gewaltfreiheit
fördern, das letztlich allen Türken, den gläubigen Muslimen, den
wenigen Christen und Juden, aber auch den Gottlosen die
Selbstbestimmung ermöglicht. Erdogan und Gül jedenfalls haben dies
versprochen und sich bislang auch daran gehalten.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau