Lausitzer Rundschau zu den Unruhen in Frankreich: Amerikanische Nächte
Archivmeldung vom 08.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs ist in den letzten Tagen vieles hineingeredet worden in die heißen Nächte in Paris und anderswo. Aber dieser hinterhältige, inzwischen mörderische Aufstand der Namenlosen hat nur wenig zu tun mit islamistischem Terror. Er ist auch nicht der Vorbote jener Art von schrankenloser Gewalt, die im Irak und anderswo das Leben zur Hölle und das Überleben zum Lotteriespiel werden lässt.
Das
Feuer, das in Frankreich jetzt lodert, schwelte schon seit Jahren.
Jetzt ist die Gewalt so massiv, dass sie nicht mehr geleugnet werden
kann. Für Frankreich schlägt die Stunde der Wahrheit. Es ist eine
Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dieses auf kulturelle
Eigenständigkeit so stolz beharrende Land jetzt vor der Frage steht,
ob es den amerikanischen Weg zu gehen bereit ist. Was die Republik
jenseits des Rheins erschreckt wahrnimmt, ist ja dem ähnlich, was
seit langem die Gesellschaft der USA prägt. Ein Teil der Bevölkerung,
durch die Herkunft leicht zu unterscheiden, sieht sich an den Rand
gedrängt und agiert mit Gewaltausbrüchen. Das kennen wir aus den
Rassenghettos der Vereinigten Staaten. Die Mehrheitsgesellschaft
schottet sich ab, setzt auf verstärkte Anstrengungen der teilweise
privaten Sicherheitsdienste und nimmt die erheblichen Kosten
achselzuckend in Kauf. Und jetzt muss Frankreich sich entscheiden, ob
es diesen Weg ebenfalls gehen wird. Die gegenwärtige Gewaltwelle wird
in absehbarer Zeit sicher mit einem staatlichen Kraftakt gebrochen
werden können. Aber dies wäre keine europäische Antwort auf die
amerikanischen Nächte in Frankreich. Alternativ dazu steht der
Versuch, jahrzehntelange Fehler in der Einwanderungspolitik
allmählich zu korrigieren. Dies ist in den Schlafstädten der
französischen Metropolen eine ganz schwere Aufgabe. Denn die Zustände
dort sind ungleich problematischer als das, was wir beispielsweise
aus den sozialen Brennpunkten der Bundesrepublik kennen. Solch ein
Versuch müsste all die Sünden angehen, die von Stadtplanung bis
Bildungspolitik begangen wurden. Er wäre nicht billig und ohne
Erfolgsgarantie. Es wäre der schwierigere Weg, weil sich die
Vertreter von Recht und Ordnung nicht profilieren, sondern mäßigen
müssten und dies angesichts der Skrupellosigkeit der Gewalttäter. Und
doch könnte die stolze französische Nation damit beweisen, dass in
Europa ein Leben ohne Ghettos und ohne amerikanische Nächte möglich ist.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau