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WAZ: Wo ein Rad ins andere greift

Archivmeldung vom 26.07.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.07.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wenn Totgesagte länger leben, dann winkt der Tour de France Unsterblichkeit. So oft war der französische Rad-Klassiker schon abgeschrieben worden. Aber nach den Jahren , in denen angesichts zahlloser Doping-Skandale selbst in Frankreich nur noch von der "Tour de Farce" oder von der Spritz(en)-Tour die Rede war, läuft es wieder rund für die Rundfahrt.

Präziser: Bei der gigantischen PR-Maschine für das Wimbledon der Radfahrer, das von der "Grande Nation" als Kulturgut verstanden wird, greift wieder ein Rad ins andere: Organisatoren, Teams und Behörden haben sich auf eine Koalition des Verdrängens geeinigt und dafür sogar den Segen von Staatspräsident Nicolas Sarkozy erhalten, der die Tour mit seiner Anwesenheit beim Anstieg zum Tourmalet adelte.

Es war der Gipfel der Heuchelei und passte ins Bild, das die Veranstalter abgaben. Eine Zeit lang hatten sie sich - unter massivem Druck, auch der Politik - als Erneuerer des Radsports und unerschrockene Kämpfer für sauberen Sport präsentiert. Polizei-Razzien in Teamhotels, Ausschlüsse von Top-Stars wie Jan Ullrich, Ivan Basso, Alejandro Valverde oder dem 2007 in Führung liegenden Michael Rasmussen sollten den Eindruck vermitteln, hier miste jemand gründlich aus.

Die Wende zeichnete sich schon 2009 ab, als die Tour den zuvor zur unerwünschten Person erklärten siebenmaligen Sieger Lance Armstrong wieder mit offenen Armen empfangen hatte, ungeachtet der immer härteren Doping-Vorwürfe gegen den Amerikaner. In diesem Jahr nun handelten die Organisatoren gänzlich ungeniert nach dem Motto: "Doping? Nicht mal ignorieren". Keine Spur mehr von der ursprünglich propagierten Transparenz. Stattdessen ging man auf Tauchstation, gab sich nicht einmal mehr die Mühe, über Details der vorgenommenen Tests zu informieren. Passend dazu wurden die in Italien laufenden Ermittlungen der Justiz gegen Sprintstar Alessandro Petacchi offiziell nicht zur Kenntnis genommen.

Angesichts solcher Verhaltensweisen und der offensichtlichen Resignation vieler ehrlicher Anti-Doping-Kämpfer ist es an der Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen: Der Kampf gegen Doping - nicht nur im Radsport - ist verloren. Übrigens nicht zwangläufig der Kampf um Chancengleichheit, setzt man voraus, dass die meisten Topsportler dopen. Nicht von ungefähr antwortete der geständige Doper Floyd Landis auf die Frage, ob der von ihm massiv beschuldigte Armstrong ein Betrüger sei, ausweichend: "Wenn er die Tour nicht gewonnen hätte, hätte es ein anderer gedopter Fahrer getan." Jan Ullrich ist der Konfrontation mit Doping nicht minder vielsagend stets mit dem Hinweis ausgewichen, niemanden betrogen zu haben ...

Eine Einschätzung, die offenbar immer mehr Menschen teilen. Obwohl weitgehend Konsens herrscht über die Doping-Verseuchung des Radsports, ist das Interesse an der Tour in vielen Ländern fast schon wieder aufs frühere Niveau gestiegen. Was unter diesen Vorzeichen noch gegen eine Freigabe von Doping spricht? Nun, zum Beispiel, dass der Verrat an den Prinzipien des Sports nicht legitimiert und Kindern wie Jugendlichen kein unkontrollierter Zugang zu Doping-Mitteln ermöglicht werden darf.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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