LVZ: zu EU-Gipfel Kein gemeinsames Haus
Archivmeldung vom 25.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Geschichte des Einigungswerkes ist reich an schmalspurigen Übereinkünften, die sich erschöpfte Regierungschefs in zermürbenden Verhandlungen abgerungen haben. Europa, die stotternde Kompromissmaschine. In diese Tradition reiht sich auch der Verfassungsgipfel ein. Die Union hat wieder einmal einen Schritt nach vorn gemacht hat, wenn auch nur einen kleinen.
Immerhin stehen Fahrplan und Eckpfeiler eines Grundlagen-Vertrages
nun fest. Der neue EU-Präsident und der aufgewertete EU-Chefdiplomat
zählen zu den Pluspunkten. So bekommt ein Europa ein Gesicht. Und
endlich wird der Unfug, dass jedes Land einen EU-Kommissar stellen
darf, ein Ende haben. Die Spitze der EU-Machtzentrale wird auf 18
Kommissare schrumpfen. Und das EU-Parlament, in den Anfängen eine
unwichtige Quasselbude, gewinnt erheblich an Einfluss auf die
EU-Gesetzgebung.
Der Wert des Brüsseler Kompromisses relativiert sich hingegen
spürbar, wenn man das Machbare gegenüberstellt. Schließlich hatten
schon 18 Staaten der alten EU-Verfassung zugestimmt und vier weitere
waren kurz davor. Die Weigerung der Briten, die gemeinsamen Werte
Europas anzuerkennen, könnte sich noch als ein schleichendes Gift
erweisen.
Tony Blair hat sein wahres Gesicht gezeigt. Er ist kein echter
Europäer. Mitmachen, wo Europa nutzt, und Aussteigen, wo es einem
nicht passt: Politologen nennen so etwas "Europa a la carte". Weniger
vornehm ausgedrückt heißt das "Rosinenpickerei".
Ein Kapitel für sich ist das unverschämte Auftreten der Polen. Zwar
bewies die Kanzlerin Stärke, als sie die Polen vor die Tür zu setzen
drohte. Aber am Ende kam Europa den widerspenstigen Warschauern beim
umstrittenen Stimmengewicht noch mehr entgegen. Wenn Europa nach der
Devise "Der Klügere gibt nach" funktioniert, dann Gute Nacht. Unfein
ist auch Brüssels mangelnde Sensibilität gegenüber den Bürgern. Wie
angekündigt sind die Rats-Schlussfolgerungen in sprachlicher Hinsicht
von nicht zu überbietender Hässlichkeit. Das war beabsichtigt, weil
man alles vermeiden wollte, was nur im entferntesten mit Verfassung
zu tun haben könnte. Wenn Brüssel tatsächlich die Herzen und Köpfe
der Menschen gewinnen will, muss es einen Text vorlegen, den jeder
Normalsterbliche kapieren kann. Ein Vertrag der Fußnoten? Nein danke.
Auch wenn sich am Ende alle als Sieger fühlen: Ein Meilenstein war
der Gipfel keinesfalls. Schlimmstenfalls könnte er sich sogar als
Pyrrhussieg erweisen. Die Briten und Polen wollen ein Europa der zwei
Geschwindigkeiten. Was nicht zusammengehört, kann auch nicht
zusammenwachsen. Ein Haus mit mehreren Etagen, das ginge noch. Aber
nun besteht die Gefahr, dass manche lieber ein eigenes Haus wollen.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung