Wiesbadener Kurier: Zu Flugzeug-Abschüssen
Archivmeldung vom 18.09.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer 11. September 2001 hat die Welt verändert genau so, wie es befürchtet worden war. Die Vereinigten Staaten haben bei der Jagd auf Terroristen ihr Rechtssystem so stark durchlöchert, dass sie selbst als das Opfer plötzlich moralisch angreifbar waren Stichwort Abu Ghoreib oder Guantanamo.
Verfassungsmäßige Rechte galten nicht mehr. Das hat auch die
Bundeskanzlerin kritisiert. Doch sie sollte nicht nur mit
US-Präsident George W. Bush Gespräche führen, sondern hin und wieder
auch die eigenen Minister an das deutsche Grundgesetz erinnern.
Es wird vielen Menschen Angst machen, dass
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom März 2006 schon vergessen hat. Laut
unserem höchsten Gericht gibt es keine Möglichkeit, ein mit
Passagieren besetztes, gekapertes Flugzeug abschießen zu lassen, weil
befürchtet wird, Luftpiraten könnten es als Waffe verwenden und mit
größtmöglichem Schaden abstürzen lassen. Zur Erinnerung: Ein Abschuss
verstößt gegen die Grundgesetzartikel 1 und 2.
Es geht um die Würde
des Menschen, um sein Recht auf Leben, und deshalb geht es eben
niemals und gar nicht, Leben gegen Leben aufzurechnen, wie der
CDU-Politiker Jung das möchte. Wer dies dennoch verfassungsrechtlich
möglich machen will, muss die Artikel 1 und 2 unserer Verfassung
einschränken oder aufgeben. Dann aber bleibt nichts mehr übrig von
deren universellem Charakter, und die Bundesrepublik wird sich
ethisch irgendwo zwischen Weißrussland und China wiederfinden. Wie
sind doch diejenigen, die totalitären Staaten und autokratischen
Staatsmännern immer wieder predigen, die Menschenrechte seien
unteilbar und die obersten Gerichte eines Landes müssten respektiert
werden.
Es gereicht Jung nicht zur Ehre, wenn er die schwierige Entscheidung
über Leben und Tod auch ohne rechtliche Grundlage zu treffen gedenkt.
Das Recht ist es nämlich, das uns unsere moralische Überlegenheit
über terroristische Attentäter gibt, das uns befugt, mit allen
zulässigen Mitteln gegen sie vorzugehen. Die Terroristen sind die
Kriminellen. Die Bundeswehrpiloten sind deshalb zu Recht entsetzt
über die verbale Offensive des Verteidigungsministers, denn sie
müssen letztendlich die Tod bringende Rakete auslösen und mögliche
juristische Konsequenzen auf sich nehmen. Und niemand kann vorher
oder hinterher mit Sicherheit sagen, dass die Abschussentscheidung
richtig war. Der 11. September 2001 hat uns auch der Sicherheit
beraubt, auf alles eine Antwort zu wissen und für alles Lösungen zu
finden. Vorher ließ es sich sehr leicht verdrängen, wie verwundbar
Gesellschaften sind.
Quelle: Pressemitteilung Wiesbadener Kurier