Westfalenpost: Ohne Not in Defensive Angela Merkel und die Wahlanalyse
Archivmeldung vom 24.10.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn einem Punkt hat Frau Merkel auf jeden Fall recht: Das bisherige Gesprächsklima bei den Koalitionsverhandlungen ist geprägt von Freundlichkeiten. Unterm Strich steht aber, was die CDU-Vorsitzende als Wasserstandsmeldung weiter gab: Es gibt kein einziges greifbares Ergebnis. Um so mehr Pöstchengeschacher, Spott und Häme der Parteifreunde, und einen stärker werdenden Chor von ehrlichen aber auch selbstgerechten Analytikern, die sich über die Konzeptlosigkeit und die fehlende Wahlanalyse ereifern.
Demokratie lebt von der Kontroverse über den richtigeren Weg. Was
uns derzeit geboten wird, ist alles andere als zielgerecht. Edmund
Stoiber versucht sich ein Super-Ministerium zu schustern, ohne
Rücksicht auf Verluste und Ansehen anderer Ministerien. Er ist es
halt nicht gewohnt, sich an Disziplin zu orientieren. Nicht umsonst
baute er sich für die Berliner Gespräche eine Rücktrittsversicherung
ein. Gelingt ihm kein Super-Coup, bleibt er halt in Bayern. So
einfach ist das. Sein Spezi Seehofer treibt's nicht weniger toll. Der
ist als Landwirtschaftsminister vorgesehen. Öffentlich demontiert er
den Sozialkurs von Angela Merkel, setzt auf ein Programm von "Maß und
Mitte".
Was ist los in der Union? Die zukünftige Kanzlerin hat versucht die
Wahlanalyse zu vertagen, in Augsburg ist sie damit heftig
konfrontiert worden. Fragen über Fragen - ohne tiefgreifende
Antworten. Eine in die Defensive geratene Opposition ist schon
merkwürdig, lässt auf taktische Fehler schließen. Offenkundig ist,
dass vom ehrgeizigen Leipziger Parteitag 2003 wenig übrig geblieben
ist. Und die langen Jahre in der zweiten Reihe hat die Vorsitzende
nicht genutzt, um ein zeitgemäßes Papier abzuliefern, das
gesellschaftlichen Strukturen Rechnung trägt.
Angela Merkel hat mit dem stolpernden Start ihren Kritikern Munition
geliefert. Ohne Not. Und sie kann jetzt nicht mehr so tun, als wenn
nichts passiert sei. Sie muss sich der Wahlanalyse stellen, kann das
nicht irgendwann im Hinterzimmer mit dem Präsidium durchpeitschen:
Aussitzen war einmal, das geht heute nicht mehr, da spielt die
unüberhörbar murrende Basis nicht mit. Richtinien gelten auch für
eine Vorsitzende. Das ließe sich mit einem Versöhnungszeichen
beweisen. Es kann doch nicht sein, dass sie jahrelang kein Wort mit
dem kritischen Friedrich Merz wechselte. Ein Zeichen der Schwäche:
Kompetenz ist gefragt, Nickemänner gibt es schon genug.
Quelle: Pressemitteilung Westfalenpost