WAZ: Es geht nur mit Vernunft
Archivmeldung vom 28.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas klingt ja geradezu niedlich: Nach Hauen und Stechen und Drohungen von allen Seiten beschließt der Islamgipfel, sich die provokante Operninszenierung anzusehen. Damit ist kein Problem gelöst! Aber könnte es nicht ein erster kleiner Fortschritt sein? Nur was man kennt, kann man beurteilen, und die Bereitschaft, genau hinzusehen, ist eine Leistung der Vernunft.
Die ist hier dringend notwendig. Denn es ist nicht damit getan zu
diskutieren, was Kunst darf und was sie nicht darf. Es muss darüber
geredet werden, was Menschen tun und warum, was Klugheit und was
Fanatismus ist und wie man damit umgeht.
Die Forderung, Stärke zu beweisen; nicht einzuknicken, wie das
heute so forsch heißt, hat etwas Martialisches. Auch etwas
Emotionales. Da spricht Empörung mit: Ja, der Papst darf sagen, was
er will, und das Theater kann spielen, was es für richtig hält. Doch
was nützt diese richtige Überzeugung angesichts von
Unberechenbarkeiten? Solange Drohungen nicht als reine Gebärde
deutlich erkennbar sind, wird man sie todernst nehmen müssen.
Das kann keine Aufforderung zum angstvollen Umgang mit der
Meinungsfreiheit sein. Schon gar nicht zu ihrer Unterdrückung.
Trotzdem muss jetzt auch an die Klugheit appelliert werden. Welche
Zeichen wollen wir setzen? Zeichen der Unnachgiebigkeit könnten
provokanter sein als zwei blutrünstige Minuten im Theater. Die Frage
lautet (noch) nicht: Was lassen wir uns gefallen? Sondern: Wieviel
Rücksicht ist vertretbar? Der Papst hat eine eindrucksvolle
christliche Geste gefunden, um Versöhnung zu bitten und sie
anzubieten. Mit dem Wort "einknicken", das den Satz "Der Klügere gibt
nach" persifliert, hat das nichts zu tun. Es ist nicht zuletzt
Menschenliebe.
Seit dem 11. September 2001 muss sich der Westen fragen, wie er
auf die Bedrohung reagieren kann. Eine einfache Antwort gibt es
nicht. Eins aber ist sicher: Wenn wir für die Zukunft verhindern
wollen, dass Drohungen unser Leben bestimmen, müssen wir für die
Verbreitung der Aufklärung sorgen. Also der Bildung. Das ist eine
starke Herausforderung.
Im Übrigen gilt auch heute noch: Es gibt keine Religionskriege. Kriege sind letztlich immer machtpolitischer Natur, und das bedeutet: Der Westen muss sich unabhängig machen vom Öl. Das bringt nicht automatisch Frieden; aber Frieden kommt nie automatisch. Es gibt große und kleine Schritte. Ein Opernbesuch ist vielleicht der kleinste; er muss nicht der schlechteste sein.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung