Boersen-Zeitung: Russisches Roulette
Archivmeldung vom 27.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit einem Paukenschlag präsentiert der Luxemburger Stahlkonzern Arcelor sein neuestes Mittel zur Abwehr des Angreifers Mittal Steel. Dieses Mal ist es ein Weißer Ritter. Die Fusion mit der russischen Severstal per Überkreuzbeteiligung und unter Führung Arcelors soll die feindliche Übernahme in letzter Minute verhindern.
Arcelors Konzernchef Guy Dollé streicht die
Vorteile seines Fusionsplans denn auch gebührend heraus: Es entstünde
nicht nur der größte Stahlkonzern, sondern auch der klare Marktführer
im Qualitätssegment für Flachstahl in der Autoindustrie. Und bei dem
Aktientausch würde Arcelor angeblich mit insgesamt gut 28 Mrd. Euro
bewertet.
Aus Sicht der Aktionäre indes, die der Fusion immerhin noch mit
einfacher Mehrheit zustimmen müssen, liegen die Unterschiede zum
Mittal-Gebot vielleicht etwas weniger klar auf der Hand: Statt des
indischen Milliardärs Lakshmi Mittal mit einem Anteil von 45% sollen
sie nun den russischen Oligarchen Alexej Mordaschow mit 32% als neuen
Haupteigner zur Seite gestellt bekommen. In Fragen der Corporate
Governance dürfte das nach Mittals jüngsten Zugeständnissen nur noch
einen geringen positiven Unterschied machen.
Bleibt also vor allem die Bewertung der Arcelor-Aktie als
Anhaltspunkt: Mittals Angebot liegt zwar angeblich 20% niedriger,
aber es besteht neben eigenen Aktien zu immerhin 29% aus hartem
Bargeld. Die Transaktion mit Severstal dagegen ist fast
ausschließlich ein Aktientausch - und dies mit einem Unternehmen,
dessen Anteile sich nur zu 10% im Börsenhandel befinden. Eine höhere
Transparenz bietet dieses "russische Roulette" also nicht. Die
Transaktion wird zudem von einer Kapitalerhöhung um fast 50%
flankiert und mit einer Auskehrung von 7,5 Mrd. Euro versüßt. Man
beschneidet damit die künftige Investitionskraft des Konzerns.
Fast noch schwerer wiegt aber etwas anderes: Erneut hat der
Arcelor-Vorstand einen folgenschweren Schritt in seinem Abwehrkampf
getan, ohne zuvor die Meinung der Aktionäre einzuholen. Es scheint,
als würden die Interessen der Anteilseigner mehr und mehr zum
Spielball des Managements. Das ist deshalb ein Problem, weil bei
Arcelors Vorständen von Beginn der Übernahmeschlacht an erkennbar
war, dass verletzte Eitelkeit eine nicht gerade unwichtige Rolle für
ihre Entscheidungen spielte.
Quelle: Pressemitteilung Börsen-Zeitung