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LVZ: Leipziger Volkszeitung zur Fußball-WM

Archivmeldung vom 09.06.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.06.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Dreimal wurde eine DFB-Elf schon Fußball-Weltmeister. 1974 fand eine Weltmeisterschaft in Deutschland statt. Kurz davor Olympische Spiele. Also alles nur freudige Routine und Normalität für die Bundesrepublik im Jahr 2006, wenn heute Abend in München zum Anstoß des ersten von 64 WM-Spielen gepfiffen wird!

Doch denkste! Zersetzende Selbstzweifel plagen uns Deutsche wieder einmal. Weil das die Vorfreude lähmt, konnten wir nicht so locker sein, wie wir es gern der Welt demonstriert hätten, die ja ab heute bei uns Freunden zu Gast ist - oder uns in Milliarden-Menschen-Stärke vor der globalen Mattscheibe genauestens beäugt. Viele Länder würden das souverän wegstecken, wir nicht: Nur wenige Nationen stehen ihrer eigenen guten Stimmung so beharrlich selbst im Weg. Die anderen wissen: Kein Land ist perfekt. Haben die Behörden genug für die Terrorabwehr getan? Welch böse Bilder gehen um die Welt, falls primitive Hooligans oder abstoßende Rechtsradikale organisiert ausrasten. Können wir da überhaupt noch gute Gastgeber sein? Ist die Raffgier der FIFA nicht widerlich, die selbst Bäcker mit weltmeisterlichen Brötchen verfolgt wie sonst nur die Bahnpolizei Kleinkriminelle? Dürfen wir da mitmachen? Und dann diese die Stadion-Lust hemmenden Kontrollorgien beim Ticketverkauf, dessen Folge leere Ränge sein werden, wenn Exoten auf krasse Außenseiter stoßen. Schließlich dieser Teamchef Klinsmann, der sein eigensinnig-sonniges Gemüt meistens in Kalifornien beruhigt und ansonsten mit Gummibändchen aus Ackergäulen Rennpferde machen will. Laufen die mittelmäßigen Klinsmänner nicht mit ihrem aufgezwungenen Offensivfußball ins offene Messer der globalisierten Fußballwelt, in der es laut Völlerscher Erkenntnis keine Zwerge mehr gibt? Es war die kontrollierte Defensive, die uns nach dem Krieg die Siegerschüsseln brachte, und mit der die Bundesrepublik auch sonst sehr gut fuhr. 1954 war der Titel ein Wunder, 1974 eine Bestätigung der deutschen Nachkriegstugenden und 1990 nur noch eine Selbstverständlichkeit, der der allmähliche Abstieg des deutschen Fußballs folgte - und der der Bundesrepublik? Brächte uns der vierte Titel also wieder aus der Krise? Man könnte es glauben, wenn selbst die Kanzlerin Interesse am runden Leder heuchelt. Aber plausibel klingt auch: Werden wir Weltmeister, führt die zwangsläufig einsetzende Euphorie und Selbstüberschätzung, Weltspitze zu sein, zu einem mehrjährigen Reformstau. Spielt die Mannschaft hingegen grottenschlecht, führt die folgende Depression zum selben Ergebnis.
Aber solche Gedanken sind schon wieder deutsche Miesepetrigkeit. Skepsis gehört nach dem Anpfiff auf die Ersatzbank. Auch die knappe Hälfte der Deutschen, die die WM gar nicht interessiert, sollte sich mit dem Rest freuen, Gastgeber eines Turniers zu sein, das bei Milliarden Menschen rund um den Globus große Emotionen auslöst. Nicht nur Fußball-Junkies sind als tolle Gastgeber gefordert! Bleibt noch die entscheidende Frage, die manchem die deutsche Seele zermartert: Dürfen wir überhaupt stolz sein auf unsere Nationalmannschaft? Ja, auf jeden Fall! Wenn sie gut spielt!

Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung

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