WAZ: Krieg im Kaukasus
Archivmeldung vom 09.08.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittÜberraschend am neuen Konflikt ist nur der Standort. Die meisten Indizien und Warnungen von Experten deuteten in den vergangenen Monaten darauf hin, dass ein Krieg um die nominell zu Georgien gehörende, doch von Russland kontrollierte Schwarzmeerregion Abchasien entbrennen würde.
Stattdessen ist nun das Pulverfass Südossetien als erstes in die Luft geflogen: eine arme, von höchstens 70 000 Menschen bewohnte Region, die Moskau ebenfalls seit Jahren dominierte und als Faustpfand gegenüber der nach Westen strebenden Ex-Sowjetrepublik Georgien nutzte.
Die angesehene International Crisis Group warnte erst im Juni,
Falken rund um Georgiens impulsiven Präsidenten Michail Saakaschwili
drängten auf schnelle Kriege zur Rückeroberung Südossetiens und
Abchasiens. Unabhängige ausländische Militärs sagten der WAZ, sie
fürchteten einen georgischen Angriff noch in diesem Jahr - bevor der
Georgien-Freund George W. Bush das Weiße Haus verlässt,
möglicherweise während der Olympischen Spiele, wenn die
internationale Aufmerksamkeit abgelenkt ist.
Offenbar waren diese Warnungen berechtigt. Zwar fehlen bisher
handfeste Beweise und Berichte unabhängiger Beobachter etwa der OSZE.
Doch die Indizien deuten darauf, dass Georgien bewusst einen lang
geplanten Krieg zur Rückeroberung des ersten von zwei
separatistischen Gebieten entfesselt hat. Dabei hat sich Saakaschwili
offenbar für die vermeintlich leichtere Variante entschieden. Die
Südosseten haben offiziell nur 2000 Mann unter Waffen.
Wenn Michail Saakaschwili seine Ankündigung wahr macht und
tatsächlich zehntausende georgische Reservisten mobilisiert, steht
der Kaukasus am Anfang eines neuen, blutigen Krieges. In dem werden
alle verlieren. International wird der Konflikt die Atmosphäre selbst
dann vergiften, wenn er sich nicht zum langen Krieg entwickelt.
Daran tragen alle Beteiligten die Schuld: Russland, das die
Konflikte in Südossetien und Abchasien seit Jahren zynisch für seine
Interessen genutzt hat. Washington, das Georgien wegen seiner
Bedeutung als Transitland für Öl und Gas, möglicherweise auch als
militärischen Brückenkopf für einen Angriff auf den Iran aufgebaut
hat und das Saakaschwilis undemokratische Verstöße im Inneren und
seine unverantwortlichen Provokationen gegenüber dem übermächtigen
Moskau deckte. Und vor allem Michail Saakaschwili, der mehr als
Hasardeur denn als Staatsmann regiert und die Georgier nun in ein
potenziell desaströses militärisches Abenteuer führt.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Florian Hassel)