WAZ: Zum Kongress der Philosophen
Archivmeldung vom 18.09.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWofür brauchen wir Philosophen? Wir benötigen Maschinenbauer, Elektrotechniker, Logistiker, IT-Spezialisten, Mediziner! Die Wirtschaft klagt, dass zehntausende Ingenieurstellen unbesetzt sind. Hat irgendjemand nach Philosophen gerufen?
In Zeiten, da Studienleistungen nach Credit Points berechnet werden, wo Verwertbarkeit des Wissens gefragt ist und Ideen produktfähig sein sollen, haben es die Muße benötigenden Denker schwer.
Wir brauchen Philosophen. Sie zeigen, dass das Leben mehr ist als es zu Geld zu machen. Die Philosophie fragt nach der Position des Menschen in der Welt, in der Gesellschaft, in ganz bestimmten Lebenslagen. Sie gibt Antworten auf Fragen, die keine andere Wissenschaft lösen kann. Was ist gut, was ist böse, was ist Gerechtigkeit, was ist der Sinn des Lebens? Konkreter: Die Biologie erforscht alles Lebendige, gibt aber keine Antwort darauf, wann und ob ein Lebewesen getötet werden darf. Die Rechtswissenschaften untersuchen, was dem Gesetz entspricht, doch was in einem Gesetzbuch stehen soll, übersteigt ihren Rahmen. Noch konkreter: Wo sehen wir die Grenzen der Gentechnik? Wie regeln wir die Sterbehilfe? Was ist Menschenwürde? Was sind unsere Maßstäbe im Umgang mit der Natur, mit der Technik? All dies sind philosophische Fragen, die jeden betreffen.
Wir brauchen Philosophen. Denn in einer Welt, die stetig komplizierter wird, ist Orientierung nötiger denn je. In vielen Lebensfragen lösen sich tradierte Gewissheiten auf - in der Erziehung, in der Partnerschaft, im Glauben und auch in der Wirtschaft. Unternehmensethik unter den Bedingungen der Globalisierung ist ein Feld für Philosophen. Das Verdienst des Essener Kongresses ist es, nach dem Nutzen der Philosophie für den Menschen zu fragen und das Wissen dorthin zu tragen, wo schon Sokrates seine Vorlesungen hielt: auf den Marktplatz. Und mitten im Leben finden Philosophen heute ihre Aufgabe: als Unternehmensberater, in der Werbung, den Medien, im Tourismus, in der Bildung, in Verlagen.
Wir brauchen Philosophen. Denn sie hinterfragen Dinge, die uns selbstverständlich erscheinen. "Die Gedanken sind frei", "Die Welt ist, was sich im Universum befindet", "Wahrheit ist, was wir erkennen". Das Befragen solcher "Wahrheiten" ist das Thema der Philosophie. So fing alles an, in der Antike, als der Mensch sich denkend löste von Mythen und Göttern und dem stillen Glauben die fragende Vernunft beiseite stellte. Aufklärung ist bis heute das Kerngeschäft der Philosophie. Was es dazu braucht? Nur Neugierde. Aristoteles sagte: Staunen.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Christopher Onkelbach)