Börsen-Zeitung: Gruselprogramm, Kommentar zu ProSiebenSat.1
Archivmeldung vom 30.08.2017
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Freigeschaltet durch André OttThomas Ebeling war bis vor kurzem so etwas wie ein TV-Star für Investoren. Mit seiner Strategie, verstärkt auf das Internet und die Digitalisierung zu setzen, um die Abhängigkeit vom klassischen Fernsehgeschäft zu reduzieren, konnte der CEO der Mediengruppe ProSiebenSat.1 die Anleger lange überzeugen. Seit Beginn seiner Amtszeit - genau auf dem Tiefpunkt der Aktie im März 2009 - erhöhte sich der Wert des Papiers um bis zu 5500 Prozent (sic!).
Für den mittlerweile in die deutsche Börsenoberliga aufgestiegenen Konzern ist diese Schönwetterphase abrupt beendet. Das Dax-Mitglied wartet mit einer Ad-hoc-Meldung auf, die so gar nicht nach dem Geschmack der Investoren ist. Ebeling und sein Führungsteam haben sich offensichtlich in der Einschätzung der Fernsehwerbeeinnahmen verkalkuliert - ein Gruselprogramm aus dem Hause ProSiebenSat.1.
Der Kurseinbruch von bis zu 15 Prozent ist ein Beleg dafür, dass der Vorstandsvorsitzende an der Börse viel Vertrauen verspielt hat. Die aktuelle Warnung hat den Kapitalmarkt unvorbereitet getroffen. In wenigen Minuten lösten sich 1,3 Mrd. Euro Marktkapitalisierung in Luft auf. Hat sich da etwa eine Blase gebildet, die nun platzt, weil der Aktienkurs sich von der fundamentalen Entwicklung deutlich gelöst hat? ProSiebenSat.1 wäre nicht die erste Firma, der dies widerfährt.
Allerdings zeichnete sich der abermals gesenkte Ausblick für die Werbeeinnahmen schon ab. Zuvor mehrten sich kritische Stimmen - auch von Seiten der Analysten -, dass infolge eines rückläufigen europäischen TV-Werbemarkts selbst Ebelings Ende Juli zur Vorlage der Halbjahreszahlen reduzierte Prognose für die deutsche Branche nicht mehr der Realität entspreche. Fast sechs Wochen später erwischte der Vorstandschef mit der dritten Prognosesenkung in Folge die Investoren auf dem falschen Fuß. In der Kommunikation mit den Investoren hat es die Konzernführung wohl am notwendigen Fingerspitzengefühl fehlen lassen.
Unterdessen gleichen Ebelings Umbaupläne für den Konzern dem Eingeständnis, dass der strukturelle Wandel doch nicht so schnell vonstattengeht wie ursprünglich erhofft. Die TV-Werbeeinnahmen machen immerhin die Hälfte des Konzernumsatzes aus. Die Neuordnung der über Zukäufe erworbenen Digitalaktivitäten ist längst überfällig. Vor dem Hintergrund wachsender Probleme rückt die Forderung von ProSiebenSat.1, an den öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühren beteiligt zu werden, in ein neues Licht.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Stefan Kroneck