Offener Brief: Notruf aus der Pflege
Archivmeldung vom 08.04.2020
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.04.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttEin offener Brief an den Gesundheitsminister Herrn Spahn, das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin, alle Pflegekassen und -verbände, die Agentur für Arbeit, das Landesamt für Einwanderung Berlin (Ausländerbehörde) und alle Arbeitgeberverbände:
Berlin - eine Millionenstadt - mit einem großen Anteil an älteren und pflegebedürftigen Menschen wurde von dem neuartigen Corona-Virus plötzlich überrollt. Die Corona-Pandemie hat als erstes die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen getroffen.
Pflegebedürftige Menschen infizierten sich aus verschiedenen Gründen mit dem SARS-CoV-2. Ergotherapeuten, Frisöre, Fußpflege und Angehörige die zuvor ihre pflegebedürftigen Klienten und Familienmitglieder täglich besuchten, dürfen nun nicht mehr kommen. Viele Pflegekräfte, die mit den Infizierten in engem Kontakt stehen und dies auch müssen, stecken sich ebenfalls an und müssen in Quarantäne. Wer bleibt nun am Bett? Wer betreut und pflegt nun die Kranken, pflegebedürftigen und hilflosen Menschen in der Not? 12h oder sogar 24h-Dienste können wir unseren Mitarbeitern nicht zumuten. Man muss mit Bedauern feststellen, dass die Personalpolitik der politisch Verantwortlichen in der Pflege versagt hat.
Das seit zwei Jahren diskutierte und vom Steuerzahler finanzierte Fachkrafteinwanderungsgesetz funktioniert nicht. Die Medien berichten täglich über die fehlenden Leiharbeiter für die Spargelernte. Mit Verwunderung und Enttäuschung stellen wir fest, dass bis zu 80.000 Arbeiter aus den osteuropäischen Ländern zur Spargelernte während der Corona-Pandemie schnell und unbürokratisch einreisen dürfen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Ernte eines Luxusartikels wichtiger ist als die Pflege unserer Großeltern, Eltern und Kinder?
Millionen von Euro flossen und fließen in Hilfsprojekte überall auf dem Globus, tausende Fachkräfte werden ins Ausland gesendet. Jetzt befinden wir uns in Not und sind dringend auf Unterstützung angewiesen, müssen aber feststellen, dass der jetzt umso schmerzlicher wahrnehmbare Mangel an Pflegekräften in Medien und Politik nicht einmal Erwähnung findet. Obwohl dieses Problem seit Jahren bekannt ist, reisen ausländische Fachkräfte sehr ungern nach Deutschland ein, weil der bürokratische Aufwand für das Visum, die Arbeitserlaubnis und die Anerkennung der ausländischen Ausbildung unnötig umständlich und langwierig ist. Nicht einmal die das Problem vergrößernde Corona-Pandemie konnte Herrn Spahn und die untergeordneten Stellen zum Handeln bewegen.
Auf Luxusartikel kann ein Mensch verzichten, auf die seine Lebensqualität erhaltende Pflege nicht. Das Grundgesetz stellt die Menschenwürde in den Mittelpunkt des Staatswesens der Bundesrepublik, genau diese ist aber für die hilfebedürftigen unserer Gesellschaft in Gefahr. Deutschland braucht JETZT Pflegekräfte und nicht erst in 12 - 24 Monaten nach endlosen Visaanträgen, Anerkennungsverfahren usw.!!
Wir haben zahlreiche qualifizierte, ausländische Bewerber mit Grundkenntnissen in Deutsch. Alle würden sofort nach Deutschland kommen, auch währende der Corona-Pandemie. Wir als Arbeitgeber sind bereit diese Leute einzustellen. Neben ihrer Tätigkeit als Pflegekräfte ermöglichen wir ihnen die Weiterentwicklung ihrer Deutschkenntnisse in Kursen. Außerdem stellen wir als Arbeitgeber eine Unterkunft zur Verfügung und übernehmen die Kosten für den Sprachkurs. Wir sind nicht der einzige Arbeitgeber der dies anbieten oder ähnliche Projekte durchführt.
Wir heißen in Deutschland Volontäre, freiwillige und ehrenamtliche Kräfte jederzeit willkommen aber die Integration künftiger Steuerzahler wird durch eine träge und unflexible Bürokratie erschwert. Unser Unternehmen hat Kontakt zu vielen ausländischen qualifizierten und berufserfahrenen Pflegefachkräften. Diese werden durch Unternehmen wie unseres in jedem Lebensbereich unterstützt, vom Sprachkurs bis zur Wohnungssuche. Einzig die politisch Verantwortlichen stehen einer von den Unternehmen fast im Alleingang gestemmten Problemlösung durch weltfremde bürokratische Hürden im Weg. Uns sind in jeglicher Form die Hände gebunden. Wir schreien um Hilfe um helfen zu können, nur um bei den Behörden auf taube Ohren zu stoßen.
Unser Unternehmen hat jahrelange Erfahrung mit arbeitsbedingter Immigration von ausländischen Pflegekräften. Mehrere unserer Mitarbeiter kommen ursprünglich aus Rumänien, Mazedonien, Polen und anderen Ländern. Sie fingen als Pflegehilfskraft an, wir unterstützten sie bei Anträgen, Behördengängen, Wohnungssuche, organisierten Sprachkurse und übernahmen alle Kosten. Nach endlos erscheinenden Anerkennungsverfahren der ausländischen Diplome arbeiten sie mittlerweile als examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger bei uns. Auf die Güte ihrer Arbeit hat das Behördenpapier, welches ihre Qualifikation auf Deutsch bescheinigt übrigens keinen Einfluss gehabt.
Nach unserer Erfahrung benötigen engagierte Mitarbeiter mit einer guten Auffassungsgabe ca. 1,5 bis 2 Jahre, um die deutsche Sprache auf dem Niveau B2 zu erlernen. Dabei arbeiten sie ständig mit deutschen Kolleginnen und Kollegen zusammen, verbringen mit ihnen die Freizeit im Fitnessstudio, in Restaurants oder in der S- und U-Bahn. Ihre Kinder besuchen deutsche Kindergärten und Schulen. Bessere Voraussetzungen können wir ihnen nicht bieten um ihnen die Sprache und die Mentalität von Deutschland näher zu bringen. Sprachkenntnisse im Niveau B1 vor der Einreise vorauszusetzen oder das Niveau B2 für die Anerkennung der ausländischen Diplome zu verlangen ist aus unserer Sicht zu hoch gegriffen. Das erschwert unserer Ansicht nach nur unnötig die Einreise der dringend benötigten, ausländischen Pflegekräfte. Während diese Fehlen, sind Dichter und Denker im deutschen Sprachraum nach unserer Ansicht ausreichend vorhanden.
Wir fordern daher ein vereinfachtes Verfahren mit einer bevorzugten Behandlung für Pflegekräfte. Die vorhandene ausländische Ausbildung und das Bestreben in Deutschland arbeiten zu wollen, müssen für ein Visum und eine Arbeitserlaubnis ausreichen. Die Sprachkenntnisse müssen während der Arbeit hier vor Ort erlernt werden. Nur so können wir Pflegefachkräfte aus dem Ausland gewinnen. Es ist Zeit sofort zu handeln!!! SOS!!!
Quelle: Gardé Ambulanter Pflegedienst GmbH (ots)