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Börsen-Zeitung: Der Realität entzogen

Archivmeldung vom 25.09.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.09.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Auf den ersten Blick ist die konjunkturelle Lage nicht so schlecht wie von vielen Ökonomen und Analysten befürchtet. Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist am Freitag deutlich über den Erwartungen hereingekommen: Die Konsensschätzung der Ökonomen von 106,4 Zählen wurde mit einem tatsächlichen Wert von 106,8 übertroffen. Der Index ist damit erneut - wenn auch nur ganz leicht - gestiegen, während ein Rückgang vorausgesagt worden war.

Auch in den USA fielen die Makrodaten zum Wochenausklang recht freundlich aus. Die Auftragseingänge für langlebige Konsum- und Investitionsgüter legten um satte 2% zu, wenn man die notorisch volatilen Bestellungen aus dem Flugzeugsektor ausklammert. Am Aktienmarkt hat sich daraufhin am Freitag Erleichterung breitgemacht. Der Dax verzeichnete ein sattes Plus von 1,8%, nachdem er drei Tage lang Verluste erlitten hatte. Und auch der Euro präsentierte sich sehr fest. Er kletterte auf fast 1,35 Dollar. Weil der Greenback als "sicherer Hafen" in Krisenzeiten gilt, könnte man die stärkere Nachfrage nach Euro-Anlagen als Indiz für eine nun endlich zunehmende Risikobereitschaft interpretieren.

Dass aus Sicht der Investoren dennoch nicht eitel Sonnenschein herrscht, lässt sich an anderen Entwicklungen erkennen: So verzeichnet der Goldpreis derzeit praktisch jeden Tag neue Allzeithochs. Am Freitag notierte er erstmals über der Marke von 1300 Dollar je Feinunze. Nun muss ein großes Interesse der Anleger an dem Edelmetall nicht in jedem Fall auf Krisenängste hindeuten. In den vergangenen Jahren ist der Goldpreis auch häufig ein Spielball der Spekulation gewesen. Aktuell scheint dies aber weniger der Fall zu sein, weil noch andere Indikatoren darauf hindeuten, dass die Lage von vielen Marktteilnehmern als durchaus ungemütlich angesehen wird.

So halten sich beispielsweise die Risikoaufschläge für irische Staatsanleihen gegenüber den als besonders risikoarm eingestuften Bundesanleihen hartnäckig auf sehr hohen Niveaus: Während die Bundesrepublik 2,35% Rendite zahlen muss, wenn sie sich für zehn Jahre Geld leiht, werden von Irland derzeit 6,6% verlangt, wenn man die Notierungen am Sekundärmarkt zugrunde legt. Der Renditeabstand zwischen den zehnjährigen Staatspapieren Irlands und Deutschlands ist am Freitag mit 451 Basispunkten auf den höchsten Stand seit der Euro-Einführung gestiegen.

Irland gilt als das schwächste Glied der Kette, wenn die Schuldenkrise der Europäischen Union (EU) wieder hochkochen sollte. Die Marktteilnehmer hegen starke Zweifel, ob die EU fähig oder willens ist, das Land zu stützen, wenn dieses nicht mehr in der Lage sein sollte, sich über den Markt zu refinanzieren. Erst in der vergangenen Woche hat Irland zwar noch 1,5 Mrd. Euro aufnehmen können. Allerdings waren die Konditionen aus Sicht des irischen Staates so ungünstig, dass sich der irische Notenbank-Gouverneur zu der Bemerkung veranlasst sah, es müssten die Sparpläne der Regierung angesichts des ungünstiger werdenden Umfelds noch einmal überarbeitet werden. Dabei hat der radikale Sparkurs Dublins und die Implosion des irischen Bankensystems bereits jetzt drastische Auswirkungen. Im Jahr 2009 fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 11% in sich zusammen. Eine nachhaltige Trendwende ist noch nicht zu erkennen, denn auch im zweiten Quartal 2010 wurde noch ein Rückgang des BIP verzeichnet.

Wie die US-Notenbank Federal Reserve jetzt durchblicken ließ, sind auch in den USA die Dinge nicht zum Besten bestellt. Im Communiqué zur Zinssitzung ihres Offenmarktausschusses ließ sie verlauten, dass sie Gewehr bei Fuß steht, um die Konjunktur mit neuerlichen quantitativen Maßnahmen zu stützen. Auch dies war zwar am Aktienmarkt positiv aufgenommen worden, an den Geld- und Bondmärkten sind die Investoren aber ins Grübeln gekommen. Wie schlimm muss es um die US-Konjunktur wirklich stehen, darf man sich fragen.

Wie es scheint, hat sich der Aktienmarkt derzeit der trüben Realität ein wenig entzogen. Sollten in der neuen Börsenwoche US-Frühindikatoren wie der ISM-Index schwach hereinkommen, dürften sich die jüngsten Kursgewinne wieder abbauen.

Quelle: Börsen-Zeitung

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