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WAZ: Lindner zur Integrationsdebatte

Archivmeldung vom 19.10.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.10.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wie hat sich unsere Republik in 40 Jahren verändert. Die 68er haben ein miefiges Deutschland kräftig durchgelüftet. Oswalt Kolle klärte die ganze Republik auf. Die Beatles sangen "All you need is love", die Pille wurde erfunden und Alice Schwarzer brachte die Frauenemanzipation auf die Bahn. Es herrschte ein Klima der offenen Debatte, ein Klima der vermeintlich grenzenlosen geistigen Freiheit.

Dieser Diskurs schonte natürlich auch die Kirche nicht. Schülerzeitungen machten sich über "Pillen Paul" lustig. "Pardon" und "Titanic" zogen über Papst und Bischöfe her, dass es einem den Atem verschlug. 40 Jahre später müssen ein Karikaturist wegen einer Mohammed-Karikatur und der Autor Salman Rushdie nach seinen "Verbotenen Versen" um ihr Leben fürchten. Die Oper "Idomeneo" wurde in Berlin aus Furcht vor islamistischem Zorn abgesetzt. Fast täglich fordert irgendein islamischer Verbandsvertreter eine Entschuldigung, weil Ehre und religiöse Gefühle verletzt worden seien. Dass die ersten vor rund 40 Jahren ins Land gekommenen türkischen Gastarbeiter einen anderen Glauben hatten als die Italiener und Spanier, fiel zunächst niemandem so richtig auf. Muslim? Na und? Allerdings hat es eine Minderheit von islamistischen Eiferern unter den Muslimen verstanden, die Ansprüche ihrer Religion mehr und mehr in die deutsche Gesellschaft zu tragen. Bei der Integrationsdebatte  nehmen Fragen des Glaubens in unserer Gesellschaft wieder raumgreifend Platz ein. Gehört der Islam dazu oder fußt das Grundgesetz auf christlich-jüdischem Erbe? Wohltuend, dass sich in dieser Gemengelage der FDP-Generalsekretär Lindner mit Verve zu Wort meldet. Seines Erachtens habe die Debatte um die Integration von Zuwanderern eine Wende genommen, nach der religiöse Werte bedeutsamer scheinen als republikanische. Lindner verweist zu Recht darauf, dass das Christentum nicht deutsche Staatsreligion, sondern lediglich persönliches Bekenntnis sei. Die Prinzipien der bürgerlichen Verfassung seien in der Aufklärung freigelegt worden und seit der Französischen Revolution - oft genug gegen den Widerstand der Kirchen - erkämpft worden. Religion oder auch Nichtglauben sind hierzulande mithin reine Privatsache. "Menschen können unabhängig von Herkunft, Glaube und Geschlecht als Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten am politischen Gemeinwesen teilhaben." Das sind die Spielregeln für das Leben in unserer Republik. Eigentlich schlimm, dass Lindner auf solche Selbstverständlichkeiten extra hinweisen muss.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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