Westdeutsche Zeitung: In der Debatte um Jugendgewalt geht es gar nicht um Lösungen
Archivmeldung vom 14.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSchärfere Jugendstrafen, Warnschuss-Arrest, zügigere Abschiebung: Wer geglaubt hatte, Roland Koch habe in der eskalierenden Debatte um gewalttätige Jugendliche schon alle Register gezogen, der muss sich eines Besseren belehren lassen. Nun will der hessische Ministerpräsident das Jugendstrafrecht auch noch auf unter 14-Jährige - also Kinder - anwenden.
Geschickt vermeidet Koch diesmal, den hohen Ausländeranteil in dieser Gruppe anzusprechen. Er weiß, dass die Bürger dies mit kriminellen Kinderbanden ohnehin assoziieren.
Vom zunehmenden Gegenwind, der Koch für seinen populistischen Wahlkampf ins Gesicht bläst, lässt er sich nicht beirren. Bei der Mobilisierung konservativer Wählerschichten vertraut er ganz auf seinen Bauch, und nicht den gegenläufigen Umfragen. Koch lässt sich auch nicht von den Zweifeln im eigenen Lager bremsen, das in den beiden anderen Landtagswahlkämpfen mit Christian Wulff und Ole von Beust zwei ausgewiesen moderate Kandidaten durchbringen muss. Risikobereitschaft kann man dem hessischen Kandidaten also wahrlich nicht absprechen.
Mag sein, dass Kochs Mut zur Hässlichkeit am 27. Januar mit seinem Machterhalt belohnt wird. Zur Lösung der anscheinend zunehmenden Brutalität junger Gewalttäter wird dieser Wahlkampf aber ganz sicher nichts beitragen. Die Menschen, die sich von der Debatte haben aufstacheln lassen, werden unweigerlich enttäuscht. Sie werden später erkennen müssen, dass sich schmissige Parolen in den meisten Fällen gar nicht in praktische Politik umsetzen lassen. Wer wie Koch zum Beispiel das Jugendstrafrecht auf Kinder anwenden wollte, bekommt unweigerlich ein Problem mit der Verfassung. Zugleich ist mit der Unerbittlichkeit dieses Streits jeder Weg verbaut worden, in der Großen Koalition sinnvolle Strafverschärfungen und Begleitprogramme für junge Gewalttäter auf den Weg zu bringen.
Bei kriminellen Kindern etwa liegt die Lösung nicht in einer Herabsenkung der Strafmündigkeit. Hier hilft allein, die Eltern von Wiederholungstätern stärker an die Kandarre zu nehmen - etwa durch gerichtlich verhängte Geldbußen oder strenge Erziehungsauflagen. Über pragmatische Ansätze aber wird bei diesem vergifteten Thema leider gar nicht mehr gesprochen.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Friedrich Roeingh)