Börsen-Zeitung: Märkte in Panikstimmung
Archivmeldung vom 22.01.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.01.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAn den Aktienmärkten macht sich Panikstimmung breit. Das zeigen Börsen wie die in Bombay, wo der Hauptindex zum Wochenauftakt bis zu mehr als 10% einbüßte und deswegen der Handel vorübergehend ausgesetzt wurde. Aber auch am inländischen Aktienmarkt war ein wahrer Ausverkauf zu beobachten, als der Dax in der Spitze um 7,5% absackte.
Das deutsche Blue-Chip-Barometer, das damit den tiefsten Stand seit März 2007 erreichte, hat seit Jahresbeginn in der Spitze rund 16% bzw. rund 1300 Zähler eingebüßt.
Eine Chance haben die Aktienmärkte derzeit nicht. Das von der US-Regierung am Freitag verkündete Programm zur Stützung der Konjunktur ist wirkungslos verpufft, wenn es nicht sogar die Verunsicherung der Marktakteure verstärkt hat. Zu schwer wiegt die Flut der immer schlimmer werdenden Nachrichten. Als Folge der Immobilien- und Kreditkrise in Amerika schockt die Bankenbranche die Anleger beinahe im Tagesrhythmus mit neuen Abschreibungen in teilweise riesigem Ausmaß. Erschwerend kommt noch hinzu, dass nun auch Institute ins Scheinwerferlicht geraten, von denen die Marktteilnehmer bislang nicht ahnten, dass auch sie betroffen sein könnten. Außerdem ist in den USA nun auch der Gewerbe-Immobilienmarkt ins Straucheln geraten, was die Banken noch mehr in die Bredouille bringt.
Gleichzeitig zeigen die US-Konjunkturdaten seit der Jahreswende fast unisono abwärts, womit sich die Furcht vor einer Rezession weiter verstärkt. So hat die Citigroup ihre Prognose für das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft in diesem Jahr kräftig reduziert. Das US-Haus erwartet für die ersten drei Monate des laufenden Turnus ein schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt und für das Gesamtjahr nur noch ein Wachstum von 1% nach bisher 2,3%.
Gründlich zerschlagen haben sich außerdem mittlerweile die Illusionen von einer auf die Vereinigten Staaten beschränkten und auch eingrenzbaren Krise. Im Zeitalter der Globalisierung sind Finanzkrisen - welche eine Überraschung! - nun einmal global. Dazu genügt ein Blick auf Großbritannien. Auch dort fallen die Immobilienpreise und geraten die Verbraucher, die zudem unter einer höheren Zinsbelastung zu leiden haben, unter Druck. In der Weihnachtssaison hat sich die Misere des britischen Einzelhandels zu einem Desaster ausgeweitet, das an der Börse mit einem Kursmassaker quittiert wurde. Und auch die Träume von der Immunität der boomenden Schwellenländer gegenüber Krisen der Industrieländer sind geplatzt. Wenn auch etwas verzögert, vollziehen ihre zuvor relativ stabilen Aktienmärkte nun die Schwäche der Börsen in den Industrieländern nach.
Letztlich müssen sich die Investoren darauf einstellen, dass die Unternehmensergebnisse die zuversichtlichen Erwartungen nicht erfüllen werden und daher die Gewinnprognosen deutlich zurückgeschraubt werden müssen. Damit ist die Basis des im März 2003 begonnenen Bullenmarktes unmittelbar vor seinem fünften Jahrestag bedroht. Denn der Kursaufschwung wurde neben der Liquiditätsflut insbesondere von einem jahrelangen, kräftigen und stets die Konsensprognosen übertreffenden Anstieg der Gewinne getragen und auch gut abgestützt. Sollten die Ergebnisse erheblich hinter den bisherigen Annahmen zurückbleiben oder sogar deutlich sinken, wäre auch ein ausgeprägter Bärenmarkt denkbar.
Doch so weit ist es noch nicht. Nach dem gründlich verpatzten Jahresauftakt baut sich vielmehr allmählich die Basis für eine Bodenbildung und eine Gegenbewegung auf. So zeigten die Kurseinbußen vom Wochenauftakt Ansätze einer Kapitulation der Anleger, eine Entwicklung, an die sich häufig eine Wende nach oben anschließt. Zudem könnten weitere Stützungsmaßnahmen der amerikanischen Regierung und eine kräftige Absenkung des Fed-Leitzinses in Kombination mit einem Abebben der Horrormitteilungen aus der Bankenbranche die Gemütslage der Anleger wieder aufhellen und dadurch den Aktienmärkten Auftrieb verleihen.
Auf der ermäßigten Basis sind außerdem die Bewertungen wieder günstiger geworden. Niedrigere Unternehmensgewinne bzw. ein Zurückschrauben der Erwartungen sind damit schon ein Stück weit eingepreist. So weist der Dax auf Basis der Konsensschätzungen für 2009 nun ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter 10 auf, während Bonds bei Renditen, die sich bei zehnjährigen Bundesanleihen auf knapp 4% beschränken, als Konkurrenzanlage alles andere als ein Schnäppchen sind. Überdies sind die Aktienmärkte differenziert zu betrachten. Einzelne Bereiche, darunter die Finanz-, Immobilien- und Einzelhandelssektoren, sind teilweise geradezu ausgebombt. Dadurch ergeben sich für mutige Schnäppchenjäger sehr günstige Gelegenheiten. Das Timing für einen Einstieg in den Markt ist in der aktuell von blanker Angst geprägten Lage allerdings schwierig.
Quelle: Börsen-Zeitung (von Christopher Kalbhenn)