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Verheerende Interventionsspiralen

Archivmeldung vom 23.08.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.08.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die militärischen Erfolge einer Terroristengruppe, die im Norden Syriens und des Iraks einen fundamental-islamischen Staat errichtet haben, scheinen es in den Augen der Bundesregierung (und nicht nur in ihren Augen) notwendig zu machen, die Kurden im Irak mit Waffen zu versorgen. Angesichts der Erfolge, die militärische Interventionen (von Sanktionen über Waffenlieferungen bis hin zu aktiver Kriegsbeteiligung) des Westens bisher zeitigten, darf man sich allerdings fragen, warum Politiker so schwer aus Fehlern zu lernen scheinen.

Die Bundesrepublik Deutschland gab unter der damaligen rot-grünen Regierung ihre außenpolitische Zurückhaltung im Zuge der Kosovokrise erstmals auf. Es waren insbesondere die Minister Joschka Fischer und Rudolf Scharping, die unter dem Motto „Auschwitz verhindern“ militärische Aktionen forderten. Die Bilder freilich, welche suggerierten, die Serben hätten im Kosovo Konzentrationslager errichtet, waren durch britische und US-amerikanische Kamerateams gestellt worden, der berühmte „Hufeisenplan“, dessen Existenz nie bewiesen wurde, war eine willkommene Begründung des deutschen Verteidigungsministers für den NATO-Einsatz. Heute müssen die KFOR-Soldaten immer noch durch ihre Präsenz ein Wiederaufflammen der Kämpfe verhindern. Das Kosovo selbst wurde zur wichtigsten Transitroute für den europäischen Heroinschmuggel und geriet jüngst in die Schlagzeilen aufgrund von schwunghaftem Organ- und Menschenhandel.

Auch im neuen Jahrtausend waren die Interventionen kaum erfolgreicher: Nachdem man in Afghanistan die Taliban vertrieben hatte, hoffte die internationale Gemeinschaft auf eine schnelle Stabilisierung des Landes – die einzigen Dinge aber, die sich in Afghanistan seitdem stabilisiert haben, sind korrupte Regime lokaler Warlords, eine zweistellige Inflationsrate und die Rohopiumproduktion. Seitdem dreht sich die Interventionsspirale schneller: Der Irak wurde 2003 von den USA (und einigen Verbündeten) unter dem Vorwand, Saddam Hussein plane den Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen, erobert. Damit wurde die Büchse der Pandora endgültig geöffnet und die gesamte Region destabilisiert. Die IS-Terroristen sind ein Echo dieser Intervention. Sie formierten sich zusammen mit Al-Quaida, weiteren Terror- und normalen Widerstandsgruppen im Kampf gegen die Besatzer. Da sie aber im Irak nicht wirklich willkommen waren und die Schiiten überhaupt wenig Interesse an dem schlichten Wertekatalog der damals noch als AQI (Al-Quaida Irak) bzw. ISI (Islamischer Staat Irak) bekannten Gruppe hatten, dürften sie hoch erfreut gewesen sein, als sich in Syrien ein neues Betätigungsfeld auftat.

In Libyen entwickelte sich im Zuge des „arabischen Frühlings“ (der sich eher als Renaissance der Steinzeitislamisten entpuppte) ein Aufstand gegen den lokalen Diktator und sein Regime. Umgehend wurde Gaddafi von westlichen Medien und Politikern zum blutrünstigen Tyrannen und „Irren von Tripolis“ stilisiert. Das war zwar nicht ganz falsch, hatte die meisten westlichen Staatschefs aber noch kurz davor nicht davon abgehalten, Freundlichkeiten mit Gaddafi auszutauschen und ihm kräftig die Hände zu schütteln. Nun aber wurden Interventionen gegen den alten Kumpel geplant. Nachdem die UN eine Flugverbotszone abgesegnet hatten, machten sich die Franzosen und Briten an die Umsetzung derselben. Bodentruppen des Diktators, seine Behausungen und Hauptquartiere wurden bombardiert. Da den europäischen Bombern allerdings schon nach drei Tagen die Munition ausging, mussten doch wieder nolens volens die USA ran und Gaddafi endgültig vom Thron stoßen. Damit aber zogen natürlich nicht Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in Libyen ein, sondern al-Quaida in die Hauptstadt Tripolis. Im Rest des Landes weitete sich der Bürgerkrieg aus. Heute ist das ehemals höchstentwickelte Land Afrikas Kampfgebiet zahlreicher verfeindeter Milizen, aber immerhin gibt es nun endlich eine Zentralbank. Dass sich die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung nicht an der Intervention beteiligte, sondern sich sogar dagegen aussprach, ist einer der wenigen Verdienste des Außenministers Westerwelle.

Natürlich hatte auch die Intervention in Libyen ein Nachspiel, dieses Mal in Mali. Die zahlreichen islamistischen Krieger wollten auch in anderen Regionen ihre Version vom Wort des Propheten verkünden und zogen umgehend weiter in den zentralafrikanischen Staat. Da sie in den Waffenkammern Gaddafis jede Menge Ausrüstung fanden, es um ihre Kampfmoral aufgrund des letzten Siegs vorzüglich stand und sie zudem in den lokalen Tuarek-Stämmen zumindest kurzfristig Verbündete gefunden hatten, waren die Erfolge ebenso vorprogrammiert wie die darauf folgende Intervention der Franzosen (an der sich dann auch die Bundeswehr beteiligte).

Weiter ging es in Syrien. Auch hier war der lokale Diktator Baschar al-Assad nicht mehr erwünscht und es entwickelte sich ein weiterer Bürgerkrieg. Auch hier stellte sich der Westen auf die Seite der Aufständischen, auch hier fanden islamistische Terroristen ein Betätigungsfeld. Die oben genannte ISI hängte sich noch schnell ein L an den Namen und beteiligte sich als ISIL bzw. ISIS (Islamischer Staat Irak und Levante bzw. Syrien) an besagtem Bürgerkrieg. Anfangs noch als Freiheitskämpfer bezeichnet, erkannt man doch relativ bald, dass der Widerstand in Syrien ziemlich heterogen ist. Echte Freiheit im Sinne von Bürgerrechten dürfte dabei nur eine Minderheit im Sinne haben. Entsprechend versprach Barack Obama dann auch, künftig Waffen und Geld nur noch an die „guten“ Rebellen liefern zu wollen. Wie das gelingen solle, erklärte er aber nicht.

Da aber westliche Luftschläge ausblieben, konnte sich das Regime Assads halten und gewinnt zunehmend die Oberhand in dem Konflikt. Entsprechend orientierte sich ISIS neu, kehrte in den Irak zurück und benannte sich wieder einmal um. Dass die Terroristen angeblich völlig unbemerkt kamen, wirft die Frage auf, ob unsere Geheimdienste neben der Überwachung der Bürger ihre eigentlichen Aufgaben überhaupt noch wahrnehmen können? Auch muss man sich angesichts der realen Kräfteverhältnisse fragen, wie dauerhaft jener IS sein kann – der englische Guardian schrieb von gerade einmal 800 Kämpfern. Eine entschlossene Offensive der irakischen Armee dürfte den Spuk doch wohl schnell beenden.

Wer nun Waffen für den Irak fordert (und liefert), dreht damit ein weiteres Mal an der Interventionsspirale. Was aus den Waffen wird, wenn IS bezwungen wurde, fragen jene Forderer nicht. Obwohl gerade diese Frage entscheidend wäre – denn die Kurden werden nach einer erfolgreichen Vertreibung der Terroristen sicherlich noch stärker von einem eigenen Staat träumen und dann evtl. auch die nötigen machtpolitischen Mittel haben, diesen zu errichten. Dies aber wird unweigerlich die Türkei, ihres Zeichens Nato-Mitglied auf den Plan rufen. Was passiert, wenn plötzlich kurdische Raketen auf türkischem Gebiet niedergehen – ist dann der Bündnisfall gegeben? Wer garantiert, dass die gelieferten Waffen nicht weiterverkauft werden und so in falsche Hände geraten – in Syrien, in Libyen, in Afghanistan war dies bisher stets der Fall. Auch sei daran erinnert, dass in Krisengebieten Allianzen häufig schneller wechseln als das Wetter.

Wenn der Westen IS (und all die anderen Terror-Organisationen, die sich angeblich auf den Islam berufen) wirklich ernsthaft bekämpfen will, sollte er zu allererst ihre ideologischen und finanziellen Quellen trockenlegen tun. Diese liegen wohl zumeist in Saudi-Arabien, Qatar und den Vereinigten Emiraten. Mit IS dürften die Iraker auch alleine fertig werden.

Quelle: Freitagsgedanken, von Dagmar Metzger, Steffen Schäfer und Christian Bayer, Liberale Vereinigung

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