Neue Westfälische (Bielefeld): Macht- und Postengeschacher gefährdet die Demokratie
Archivmeldung vom 10.02.2018
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Freigeschaltet durch André OttKasperle-Theater, Karnevalsstimmung, Witzfiguren - das sind die harmlosen Reaktionen auf die Nachrichten zur tatsächlichen oder angeblichen Regierungsbildung. Man mag kopfschüttelnd Sympathie für diese Einordnung finden. Treffend ist sie nicht. Denn die politische Klasse präsentiert sich derzeit in einem desaströsen Zustand. Und das ist nicht witzig. Der SPD-Parteichef will sein Amt lieber gegen das Außenministerium eintauschen.
Der noch amtierende, geschäftsführende Außenminister demontiert ihn als angeblichen Wortbrecher. Zuhause an der Basis der Partei schäumt die Wut über die verheerenden Aktionen der eigenen Parteifreunde in der Bundeshauptstadt und im Land NRW. Der andere Koalitionspartner hadert mit der eigenen Kanzlerin. Die zentralen Botschaften dort beziehen sich nicht etwa auf die politischen Inhalte eines Koalitionsvertrages, sondern auf die Vergabe der Ministerien samt diverser anderer Posten. Die Regierungschefin kann das weder beruhigen, noch übt sie ihre Richtlinienkompetenz aus. Es geht wieder Angst um in Deutschland.
Angst davor, dass diese politische Klasse ihrer Verantwortung und Führungsaufgabe nicht mehr gewachsen ist. Die Kritiker - auch die, die wenig bis keinen Respekt vor dieser bislang sehr gut funktionierenden Demokratie haben - sehen alle Vorwürfe gegen die derzeit Handelnden bestätigt. Die beiden einst großen und souveränen Volksparteien verspielen zur Zeit nahezu all ihren Kredit. So geht es nicht weiter! So kann und darf es nicht weitergehen. SPD und Union und die sie verantwortlich führenden Politiker müssen wieder zur Vernunft kommen, und zwar schnell. Sie sind gewählt dafür, dass sie den Menschen in dieser Republik Sicherheit und Stabilität garantieren, nicht Postengeschacher und Karrieregeilheit. Sie sind verantwortlich für die Kalkulierbarkeit von Politik - Tagespolitik und Zukunftspolitik. Von ihnen wird verlangt, dass sie dem Land und seinen Bürgern Aufbruch und Zukunftsfähigkeit organisieren.
Nicht Stillstand und Machtkampf. Es wird höchste Zeit, dass sich die beiden Volksparteien wieder an diese Pflicht erinnern, wenn sie Volksparteien bleiben wollen. Es wird Zeit, dass die Amts- und Mandatsträger dieser beiden großen Volksparteien diese Pflicht wieder erfüllen. Wenn sie sich nicht schnell darauf konzentrieren, sinken ihre Chancen drastisch, Volksparteien zu bleiben. Die Feinde der Demokratie lauern schon auf dieses Versagen - auch im Parlament. Ihnen darf nicht noch einmal das Feld überlassen werden. Das wäre verheerend. Vielleicht hilft die Erinnerung an eine Ermahnung des Alt-Kanzlers Willy Brandt: "Es ist hoch an der Zeit, dass wir zu einer fortlaufenden besseren Abstimmung der entscheidenden Kräfte kommen.(...) Erst kommt das Land, dann kommt die Partei." So sollte es sein!
Quelle: Neue Westfälische (Bielefeld) (ots) von Thomas Seim