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Berliner Morgenpost: Auf dem Weg in die nukleare Anarchie

Archivmeldung vom 26.05.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.05.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Vorgestern früh registrierten Erdbebenstationen in Ostasien eine Erschütterung auf ihren Bildschirmen, die nur von einer unterirdischen Atomexplosion kommen konnte. Die Bestätigung aus Nordkorea ließ nicht lange auf sich warten. Mit Triumph in der Stimme verkündeten die Militärs ihren neuesten Sieg. Wir werden Zeugen, wie Weltordnung zerfällt: Atommacht für Atommacht, Explosion für Explosion, Rakete für Rakete.

Dabei sind die großen "Permanent Five" des Sicherheitsrats, völkerrechtlich die einzig legitimen Atommächte, kaum mehr als hoch besorgte Zuschauer, nicht anders als der Rest der Welt. Auch dem großen roten Drachen in Peking kann es nicht gleichgültig sein, wenn der kleine rote Drache nebenan nukleares Feuer spuckt. Denn Nuklearwaffen sind unerbittliche Gleichmacher, und ihre Wirkung kommt, auch ohne dass eine einzige Nuklearwaffe im Zorn gezündet wird, aus ihrer düsteren Präsenz. Das gilt noch mehr, wenn es sich wie bei Nordkorea um ein Land handelt, das - undurchsichtige Tyrannei - hochgerüstet ist und bettelarm. Der erste Gefechtskopf war im Oktober 2006 gezündet worden. Damit die Nachbarn das Fürchten lernten, folgten zeitversetzt Mittel- und Langstreckenraketen. Zuletzt eine Fernrakete mit mehreren Tausend Kilometern Reichweite - bis Australien und Guam, aber auch tief nach Russland und China, von Japan nicht zu reden, wo mit größter Beschleunigung an der Abwehr gearbeitet wird - wahrscheinlich eingeschlossen nukleare Entwicklung bis kurz vor der letzten Schraubenzieherdrehung. Kein Wunder, dass die Welt das Schlimmste fürchtet. China, die USA, Russland, Japan und Südkorea haben am sechseckigen Tisch in Peking über bald ein Jahrzehnt versucht, die Nordkoreaner zu stoppen: Vergeblich. Drohungen nützten so wenig wie Liebesgaben an Energie, Lebensmitteln, Medikamenten und zwei (!) Leichtwasserreaktoren. Der "Liebe Führer" von Pjöngjang führt die Welt an der Nase herum - mit erzbösen Absichten. Vielleicht geht es zurzeit nicht um Krieg gegen den Süden. Eher um Erpressung großen Stils und Systemerhaltung gegen jeden Druck von außen, eingeschlossen China. Auf diese Weise geht aber der Atomwaffensperrvertrag, dem von Anfang an Indien, Pakistan und Israel fernblieben - alle längst Atomwaffenbesitzer - vollends zu Bruch. Denn wo Nordkorea führt, werden andere folgen. Das bipolare System des Kalten Krieges brachte den langen nuklearen Frieden. Was jetzt beginnt, im Fernen Osten, in Reaktion auf den Iran und die Atomrüstung der Mullahs, kündigt jene nukleare Anarchie an, die John F. Kennedy mit dem Atomwaffensperrvertrag verhindern wollte. Abschaffung aller Atomwaffen? Was die Großen und Guten verkünden, hat wenig Erfolgschance. Die Nato wird noch für Ernsteres gebraucht als Flaggezeigen, vor allem Amerika. Sonst beginnt ein Zeitalter apokalyptischer Angst.

Quelle: Berliner Morgenpost

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