WAZ: Debatte über Auslands-Einsätze: Deutschland und der Hindukusch
Archivmeldung vom 30.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNun haben die schäbigen Fotos aus Afghanistan ja doch noch ihr Gutes: Endlich wird - und das nicht nur in Berlin - offen über den Sinn der vielen deutschen Auslandseinsätze debattiert. Denn das begreifen sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung bislang offenbar nur die wenigsten.
Die Bundesregierung hat nicht das
Technische Hilfswerk an den Hindukusch geschickt und nicht den
Arbeiter-Samariter-Bund in den Kongo. Sondern Soldaten, die notfalls
töten müssen. Und die getötet werden können.
Zu den weltweiten Einsätzen der rund 9000 Bundeswehrsoldaten hat
das Parlament jeweils ohne große Widerrede seine Zustimmung gegeben -
und auch in der Bevölkerung gab es keinesfalls nennenswerten
Widerstand gegen die Missionen. Denn jedes Mal ging und geht es um
eine im Prinzip gute Sache: um freie Wahlen im Kongo, um Frauenrechte
in Afghanistan, um ethnische Gleichberechtigung auf dem Balkan. Dass
der moralische Anspruch der Einsätze nicht unbedingt etwas über deren
Gefährlichkeit und mögliche Verwicklungen aussagt, erkennt man
teilweise erst jetzt.
Dabei waren Auslandseinsätze für Deutschland lange Zeit ein
absolutes Tabu. Ausgerechnet eine rot-grüne Bundesregierung brach
damit. Gegen den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr nach dem
Weltkrieg - Ende der 90er Jahre auf dem Balkan - gab es noch
erheblichen Widerstand bei den Deutschen. Den überwand die damalige
rot-grüne Regierung mit einer zutiefst moralischen Argumentation;
bemühte Auschwitz, um den Krieg gegen die Völkermörder auf dem Balkan
zu rechtfertigen. Folge dieser Logik: Selbst der Widerspruch der
pazifistischen Linken gegen deutsche Militäreinsätze im Ausland
verstummte.
Dieser Tabubruch wirkt bis heute nach: Wer sich nicht gegen einen
Kriegseinsatz auf dem Balkan stellt, der wird sich auch nicht gegen
humanitär begründete Bundeswehreinsätze wehren - sei es in
Afghanistan oder im Kongo, am Horn von Afrika oder im Libanon. Dass
jetzt ausgerechnet die Grünen nach mehr Soldaten für Auslandseinsätze
rufen, spricht für sich: Schon verlangen einige von ihnen, einen
Einsatz gegen den "Genozid im Sudan" zu prüfen.
Eine künftig gründlichere Überprüfung der Bundeswehreinsätze zu
fordern, heißt nicht, sich generell gegen die humanitären Ziele
solcher Missionen zu stellen. Aber es muss härter diskutiert werden:
Auch über Strucks These, am Hindukusch werde unsere Sicherheit
verteidigt. So einfach ist das nicht; das merkt Struck jetzt wohl
selbst.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung