LVZ: Dolchstöße
Archivmeldung vom 14.03.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWas ist der Unterschied zwischen Landes- und Bundespolitik? Derzeit lässt sich das einfach beantworten: In der Berliner Großkoalition liest die CDU der SPD fast jeden Wunsch von den Lippen ab.
Getrieben
von guten Umfragewerten setzt die Union auf eine
Sozialdemokratisierung - als Preis für ein schlechtes Wahlergebnis
und als Belohnung für die Kanzlerinnenschaft. Angela Merkel stört es
vorerst wenig, dass sie von den verzweifelt nach Themen und
Profilierung suchenden SPD-Granden immer häufiger offen kritisiert
wird. In den Bundesländern sieht das anders aus: Die
Unions-Ministerpräsidenten blicken lauernd auf die große
Reformschwammigkeit an der Spree und wollen sich von ihren wenigen
SPD-Kollegen nicht bevormunden lassen. Anders als die
koalitionsgebundene Bundes-CDU können es die Unionsländer auch auf
Streit mit der SPD ankommen lassen, um Unionsinteressen
durchzusetzen. Und die SPD sucht die Konfrontation, weil sie sich vor
den anstehenden Landtagswahlen aus dem Umfragetief manövrieren will.
Sie sucht den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, die sich immer
stärker von der SPD entfremden und mit der Linkspartei kokettieren.
Anders ist kaum zu erklären, dass die SPD-Länder ohne Not die selbst
festgelegte Verhandlungslinie in den Tarifverhandlungen des
öffentlichen Dienstes verlassen - und ihren eigenen
Verhandlungsführer, Niedersachsens CDU-Finanzminister Möllring,
persönlich angreifen. Stil- und Loyalitätsfragen sind für Kurt Beck
im rheinland-pfälzischen Wahlkampf eben drittrangig. Dabei schont
Verdi die SPD-regierten Länder und streikt vornehmlich dort, wo die
Union regiert. Gleichzeitig bestreitet die SPD gar nicht, dass die
öffentlich Bediensteten bei Arbeitszeit und Sonderzahlungen
Zugeständnisse machen müssen. Die Dolchstöße von Beck, Stegner und
Platzeck in Möllrings Rücken schwächen die Verhandlungsstärke der
Länder. Sie beweisen aber auch, wie wenig zuversichtlich die
Gewerkschaft Verdi tatsächlich ist, ihre Ziele allein mit einem
Arbeitskampf durchzusetzen. Der ist bei vielen Bürgern unpopulär -
und findet auch bei etlichen Bediensteten nicht die volle
Unterstützung. Verdi-Chef Bsirske tönt vollmundig, seine Organisation
könne notfalls länger als ein Jahr lang streiken. Das klingt wie
Pfeifen im Walde, denn auch Bsirske weiß, welche Löcher ein langer
Streik in die Verdi-Kasse reißen kann. Und wie die Stimmung im Land
angesichts sich auftürmender und stinkender Müllberge gegen die
Streikenden hochkochen kann.
Viel zu schnell hat sich Verdi in einen überflüssigen Streik verrant.
Angesichts kräftigen Mitgliederschwunds soll die eigene
Kampagnenfähigkeit demonstriert werden. Scheitert Verdi auf breiter
Front, stürzte dies die Gewerkschaft in eine tiefe Macht- und
Sinnkrise: Selbstgemachte Leiden, die nicht Möllring anzulasten sind.
Der versucht nur, das Optimale für die überschuldeten Länder
herauszuholen. Ein Schlichter, der jetzt von der SPD gefordert wird,
käme viel zu früh - und wäre sowieso kein Garant für Erfolg. Zuletzt
scheiterten 2003 die Ex-Bürgermeister Koschnik und Lehmann-Grube als
Schlichter.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung