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Immer wieder Griechenland

Archivmeldung vom 11.06.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.06.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es gibt Dinge, an die gewöhnt man sich mit der Zeit. Beispielsweise daran, dass die Kassen des Staates stets leer sind, obwohl die „Steuereinnahmen“ einen Rekord nach dem anderen sprengen. Auch haben sich die Bundesbürger längst daran gewöhnt, dass vor der Wahl das Blaue vom Himmel versprochen wird und danach alles anders ist, zumeist wegen der leeren Kassen.

Im Zuge der laufenden Finanzkrise, die sich anschickt, im kommenden Jahr ihre erste Dekade zu vollenden, hat man sich an noch ganz andere Dinge gewöhnt. Dabei sind die hohlen Phrasen, die aus dem in der Eurofrage stets geeinten Politiklager kommen, und immer irgendwas von Solidarität, gutem Weg oder gemeinsamem Haus beinhalten, gar nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist die Tatsache, dass wir uns an die andauernden Rechts- und Vertragsbrüche gewöhnt haben, die im Zuge eben jener „Rettungsmaßnahmen“ von der europäischen classe politique begangen werden. Noch fataler ist nur mehr die Tatsache, dass sich eben jene classe politique inzwischen ebenfalls daran gewöhnt hat, genau diese Rechts- und Vertragsbrüche zu begehen und damit durchzukommen.

Kein Gericht – zumindest keines von dieser Welt – scheint bereit, sich für den Rechtsstaat in die Bresche zu werfen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Frage der Eurorettung längst selbst entmannt und seine Souveränität freiwillig und ohne Not an den Europäischen Gerichtshof abgegeben. Insofern darf man sich auch keinerlei Hoffnung hingeben, dass die (ehemaligen) Hüter der Verfassung am 21. Juni plötzlich zur Einsicht gelangen und den einmal eingeschlagenen Kurs verlassen werden – vermutlich werden sie einmal mehr Bedenken anmelden und das Urteil dem EuGH überlassen. Von diesem aber sind in Fragen der EU und des Euros keinerlei unabhängige Urteile zu erwarten. „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing“, gilt eben alle Zeit auch und gerade für die EU-Gesinnungsjustiz.

Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch beim leidigen Thema Griechenland auf jedwede vertragliche Vereinbarung gepfiffen wird – wer sollte bzw. wollte schließlich die Vertragsbrüchigen zur Rechenschaft ziehen? Nur unter schwersten Auflagen hatten sich die absurderweise als „Retter“ bezeichneten Steuergeldvernichter namens EZB, IWF und Euroländer bereit erklärt, dem bankrotten Land frisches Geld in Form eines dritten „Hilfspakets“ auszureichen.

Und nun? Zwar hat Athen einige Gesetze erlassen und noch viel mehr wohlklingende Reformen versprochen, aber passiert ist am Ende gar nichts. Die Gesetze wurden nicht umgesetzt bzw. einfach ignoriert und die allermeisten Reformversprechen blieben genau das: Versprechen.
Dennoch fließen nun 10,3 Milliarden Euro nach Griechenland. Das Warum ist recht einfach erklärt. Würden sie nicht fließen, wäre Griechenland nicht in der Lage, die im Juni fälligen Anleihen zu bedienen und das Land wäre offiziell bankrott. Dann wären plötzlich alle die Hilfsgelder, die bisher geflossen sind und als „sichere“ Bilanzposten in den Büchern der Rettungsländer, der EZB und des IWF stehen, tatsächlich Ausfälle.

Es müsste eingestanden werden, dass sie verloren sind. In der Folge gerieten weitere Länder in Schieflage und am Ende müssten alle den Bankrott erklären.

Es passt ins Bild, dass sich mit der Freigabe des frischen Geldes zur Bedienung der griechischen Staatsschulden nicht einmal mehr der Bundestag befasst. Laut Bundesregierung haben sich die Hilfsvereinbarungen nicht grundlegend geändert, weshalb sich das Parlament nicht damit beschäftigen muss. Das stimmt zweifelsohne. Die Vereinbarungen haben sich genauso wenig wie die Eurostabilitätskriterien, das Verbot der direkten Staatsfinanzierung oder auch die Dublin-III Verordnungen geändert – es hält sich nur niemand mehr daran.

Nun also fließt das Geld ohne parlamentarische Debatte. Natürlich würden die dortigen Vertreter der Partei- und EU-Interessen niemals mehrheitlich mit „Nein“ stimmen, aber immerhin würde eine solche Debatte einmal mehr für kommende Generationen dokumentieren, wie weit sich die Republik inzwischen nicht nur vom Rechtsstaat, sondern auch von der Vernunft entfernt hat.

So aber blieb es alleine den 41 Mitgliedern des Haushaltausschusses vorbehalten, die Gelder freizugeben. Sie entschlossen sich, in der am Donnerstagabend kurzfristig einberufenen Sondersitzung „als Ausschuss in Gänze keine Stellungnahme abzugeben". Vermutlich drängte der abendliche Absacker in den derzeit angesagten Bars der Berliner Republik und da der große Vorbeter im Finanzministerium ohnehin die Empfehlung ausgesprochen hatte, die Milliarden freizugeben, machte man kein großes Aufhebens um die Formalie. Die Tatsache, dass es sich nicht um das eigene Geld handelt, dürfte die Entscheidung zusätzlich erleichtert haben.

Die katastrophale Rettungspolitik – mitgetragen von der Bundesregierung und weiten Teilen des Bundestages – hat nun alle an der „Rettung“ Beteiligten an das Schicksal des vermeintlich zu Rettenden gekettet.

Bravo, kann man da nur sagen. Man war beim Aneinanderketten sogar so erfolgreich, dass auch der IWF nicht mehr von Bord gehen kann – obwohl er das gemäß seinen Statuten eigentlich längst hätte tun müssen. Schließlich haben seine Analysten längst eingestanden, dass die Schulden Griechenlands nicht „tragfähig sind“. Mithin also eine Schuldenerleichterung, der politische Euphemismus für Bankrott, nötig wird.

Da aber Christine Lagarde dem IWF vorsteht und Madame Lagarde als ehemalige französische Finanzministerin genau weiß, wie einfach es geworden ist, Verträge, Statuten und ähnliches zu brechen bzw. einfach zu ignorieren, passiert genau dies. Der IWF bleibt treu an Bord, denn die Milliarden, die er in der „Griechenlandrettung“ versenkt hat – will (und kann) er nicht so einfach abschreiben und so schmeißt er dem verlorenen Geld weiter frisches hinterher.

Aber dem IWF kann und wird aus der Zwickmühle geholfen werden. Längst hat die Bundesregierung signalisiert, dass sie nach der Bundestagswahl und der Präsidentenwahl in Frankreich für Entlastung des Fonds sorgen wird. Wie praktisch also, dass das dritte Hilfspaket bis zum Frühjahr 2018 läuft und mit den insgesamt fast 100 Milliarden Euro vermutlich gerade ebenso ausreichen wird, die bis dahin fälligen Schulden Athens zu übernehmen. Selbstredend wird Griechenland auch dann nicht der Bankrott gestattet werden, aber die EZB und Deutschland werden die griechischen Altschulden (insbesondere die beim IWF) sukzessive gegen Neuschulden mit deutlich vergünstigten Zinssätzen und vor allem sehr viel längeren Laufzeiten austauschen.

Wer weiß schon, was im Jahr 2065 oder noch später sein wird?
Bei Laufzeiten von 50 Jahren oder noch mehr muss sich Athen vorerst nicht um die Bezahlung der lästigen Schulden sorgen und zeitgleich können die „Retter“ weiterhin ausfallfreie Bilanzen vorweisen. Eine Win-Win-Situation, die die wirtschaftlich unbeleckten Rosstäuscher in Brüssel, Berlin, Frankfurt und anderswo da ausgeheckt haben, könnte man meinen. Alles ist super.

Was die Gesundbeter aber übersehen: Griechenland wird immer wieder mehr Geld brauchen. Denn natürlich kann man auf dem Papier blendende Resultate, welche die (nicht gemachten) Reformen zeitigen werden, ausweisen und vorrechnen, aber die Realität sieht nun einmal anders aus. Das Land hat kein, wirklich überhaupt kein Geschäftsmodell. Weite Teile der Bevölkerung sind völlig verarmt, nach wie vor ist der Staat der größte Arbeitgeber, der Großteil des Sparkapitals ist entweder aufgebraucht oder außer Landes geflohen.

Es wird auch nicht wieder kommen, da die Unsicherheit, die aus den ständig angemahnten Reformen, der politischen Willkür der Besteuerung und den geradezu explodierte Verwaltungs- und Dokumentationspflichten für Unternehmer keinesfalls ein Klima ist, in der Menschen Unternehmen aufbauen wollen geschweige denn können.
Dem dritten Hilfspaket wird also ein viertes Folgen müssen und ein fünftes und so weiter und so fort. Die Gelder hierfür werden – ebenso wie die der ersten drei Hilfspakete – bilanziell nie weg sein und dennoch fehlen.

Verwenden die Retter das laufende Steuereinkommen, fehlt es letztlich im Haushalt und damit den Steuerzahlern direkt, greift man andererseits auf Schulden zurück, fehlt es den künftigen Generationen und wenn – was vermutlich das wahrscheinlichste ist – Mario Draghi die nötigen Gelder mittels der virtuellen Druckerpresse aus dem Nichts schafft, dann drückt sich der Verlust in der schwinden Kaufkraft des Euros aus.

Man kann es drehen und wenden wie man will – Griechenland wird durch die Milliarden nicht gerettet, stattdessen schaden die vermeintlichen Hilfszahlungen allen Beteiligten.

Es wird höchste Zeit, das Debakel zu beenden. Allerdings nicht, indem man Griechenland aus der Eurozone wirft. Es sind ja nicht alleine die Griechen, die dauerhafte Alimentierung benötigen. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone hat sich sehr erfolgreich von der Grande Nation zur Krisennation entwickelt. In Frankreich brennen seit Wochen die Straßen, weil es selbst dem eingefleischten Sozialisten François Hollande langsam dämmert, dass mit gesetzlich garantierter 35-Stunden-Woche und dem offiziell mit 60 Jahren beginnenden Rentenalter im globalen Wettbewerb gegen Koreaner, Chinesen und auch die USA kein Stich zu machen ist.

Die einzige Lösung ist das Ausscheiden Deutschlands aus der Eurozone. Dann müsste die Bundesrepublik unbestritten jede Menge Verluste hinnehmen, beispielsweise in Form der Traget2-Salden, der ausgereichten Rettungskredite oder den getätigten Einlagen in ESM und ESFS , aber diese Verluste wurden real schon gemacht – sie sind bisher nur bilanztechnisch nicht wirksam geworden. Aber zumindest wären die Verluste dann endlich begrenzt.

Darüber hinaus stünden ihnen nicht unerhebliche Gewinne gegenüber. Die neue Währung der Deutschen erführe eine deutliche Aufwertung, da die deutschen Staatsschulden in Euro nominiert sind, würde hier eine drastische Reduktion der Staatsschulden zu verbuchen sein. Vermutlich hielten sich so Gewinne und Verluste in etwa die Waage.
Zwar hat das derzeitige politische Personal sein Schicksal unauflöslich mit dem Euro verknüpft, aber Politiker lassen sich abwählen.

Wenn Deutschland nicht aus der Eurozone ausscheidet und so eine geordnete Abwicklung des gescheiterten Währungskonglomerats ermöglicht wird, werden die Euroländer, auch und gerade Deutschland, das Schicksal Griechenlands teilen.

Kommentar von Dagmar Metzger und Steffen Schäfer

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