WAZ: Deutsche Soldaten & US-Steuern
Archivmeldung vom 28.07.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKaum ist Barack Obama wieder daheim, wird er von deutschen Politikern auch schon heftig verprügelt. Ist das etwa die postwendende Rache dafür, dass der charismatische Redner aus USA dem mehr oder weniger drögen deutschen Polit-Establishment vorführte, wie lustvoll sich die Beziehung von Spitzenpolitikern zum Volk auch noch gestalten ließe (entsprechendes Talent vorausgesetzt, natürlich)?
Was ist der Anlass für den Ärger? Obama hat im US-Fernsehen
gesagt, wenn die Verbündeten mehr Soldaten nach Afghanistan
schickten, könnten die Amerikaner welche abziehen und mit dem so
gesparten Geld bedrängten Mittelschichten Steuern erlassen. Das ist
richtig und falsch zugleich. Richtig, weil auch die Amerikaner jeden
Dollar nur einmal ausgeben können. Falsch, weil auch Obama nicht auf
die Idee käme, so simpel Politik zu machen; das wäre der Abschied von
jeder staatsmännischen Vernunft. Denn demnach wäre die Abschaffung
der US-Armee die beste Politik für bedrängte amerikanische
Mittelschichten.
Politik verfolgt, egal wo auf der Welt, stets mehrere Ziele,
niemals nur eins. Ob das den Kandidaten Obama betrifft oder die
Kanzlerin Merkel, macht keinen Unterschied. Wer das ignoriert, ist
ein Bauernfänger. (Mal sehen, wann Gregor Gysi darauf kommt, die
Bundeswehr abzuschaffen, um damit Menschen vor dem Kältetod zu
bewahren.)
Bedrängt sind die Mittelschichten nicht nur in den USA, sondern
auch in Deutschland. Auch sie müssen viel mehr bezahlen für Energie
oder Lebensmittel oder Angst haben um ihren Job, obwohl sie doch bei
so eingeführten Adressen arbeiten wie Daimler, Siemens oder der
Telekom. Einfache Lösungen gibt es nicht. Energie-Sozialtarife sind
nur dann sinnvoll, wenn hier nicht der Staat mit Subventionen anrennt
gegen Energie-Spekulanten. Und wer, wie der
Bundeswirtschaftsminister, die Steuern senken will, um die
Inlands-Nachfrage zu stimulieren, der entfacht gegen die einbrechende
Konjunktur auch nur ein Strohfeuer. Ganz abgesehen davon, dass die
Sanierung des Bundeshaushalts eines der wenigen wirklich erkennbaren
Markenzeichen der Regierung Merkel/Steinbrück ist. Und wer Steuern
senkt, dem fehlt das Geld, um die Verschuldung zu verringern.
Was hat nun der Streit um Obama mit den neuen
Auseinandersetzungen in der Großen Koalition gemein? Er lehrt, dass
man mit Ehrlichkeit bei den Wählern am Ende vielleicht doch weiter
kommt als mit Stimmenfängerei.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Ulrich Reitz)