Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur deutschen Sprachkultur
Archivmeldung vom 12.05.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDeutsch ist eine wundervolle Sprache. Von großartiger Vielfalt. Und eben deshalb bedarf sie der Hege und Pflege.
Genau dieses tiefere Empfinden aus eigenem, sehr bewusstem Erleben
brachte die weltbekannte Sopranistin und Professorin an der Kölner
Hochschule für Musik, Edda Moser*, auf einen nachgerade
zukunftsweisenden Einfall: Sie erfand und veranstaltet fortan nun
alljährlich im Oktober auf dem malerischen thüringischen Schloss
Heidecksburg ein famoses »Festspiel für die deutsche Sprache«.
Was für ein ermutigendes Zeichen und welch ein Gegenentwurf in
unseren Zeiten gestanzter, ausdrucksarmer und oftmals schlicht
gedankenloser Flachphrasendrescherei im öffentlichen
Verlautbarungs(un)wesen! Mehr und mehr beschleunigt doch die
»Ich-sach-mal«-Generation die allgemeine Sprachschluderei.
Besonders bunt treiben es die Größen des Sports und anderer
Unterhaltungsglitterwelten. Aber andere Verballhornungs-»Künstler«
stehen ihnen darin kaum nach. Schleichend verarmt der Wortschatz quer
durch alle Bevölkerungsschichten.
Pausenlos wird vollmundig irgendwo auf irgendwen »Druck gemacht«.
Allen Ernstes erklären Polit-Kauderwelschler papierene Reformpakete
für »zustimmungsfähig« (!), obwohl nach herkömmlichem Verständnis nur
Menschen Ja oder Nein zu diesem oder jenem Vorschlag, Entwurf oder
Plan sagen können. Und das wird dann auch noch inflationär garniert
mit nichtssagenden Plattfloskeln wie »umfragebasiert», »grenzwertig«
oder einem unverbindlichen »nicht wirklich« oder »eher nicht«.
Niemand erwartet oder verlangt gar, dass Politiker,
Verbandsvertreter, Gewerkschaftsfunktionäre und andere wichtige
öffentliche Menschen sich fortwährend auf den Sprachgipfelhöhen eines
Goethe, Schiller, Eichendorff, Heine, Uhland oder Fontane bewegen.
Dennoch aber ist es gerade auch für die Persönlichkeitsbildung der
nachwachsenden Jüngeren von enormem, ja, zukunftsentscheidendem
Nutzen, den Reichtum der deutschen Muttersprache zu erfahren und zu
verinnerlichen. Denn das Sprachvermögen ist der alles überragende
Schlüssel überhaupt.
Kinder wie Jugendliche und Erwachsene haben immer größere
Schwierigkeiten mit ihrer Muttersprache. Und sage und schreibe 80
Prozent aller heute neu eingeschulten Sechsjährigen können
bestürzenderweise nicht einen einzigen vollständigen Satz bilden.
Aber nur wer die eigene Sprache beherrscht, vermag unsere Welt
wirklich wahrzunehmen und die Eindrücke sinnreich zu ordnen.
Doch was der Mensch über die fünf Sinne nicht auch in Worte fassen
kann, hat er letztlich nicht gesehen, gehört oder gespürt, kurzum, er
nimmt es im Grunde gar nicht richtig auf, verarbeitet und »speichert«
es allenfalls bruchstückhaft, ausschnittartig.
Anders gesagt: Wer noch nicht einmal seiner Muttersprache mächtig
ist, tut sich auch mit dem Denken ziemlich schwer.
Quelle: Pressemitteilung Westfalen-Blatt