Lausitzer Rundschau: Charisma eines Berti Vogts
Archivmeldung vom 29.05.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEine Entscheidung ohne Glanz und ohne Überraschungseffekt: Bundestrainer Joachim Löw hat Philipp Lahm zum Kapitän für die Fußball-WM bestimmt - so wie es nach dem Ballack-Aus zu erwarten war. Eine logische Entscheidung, weil Löw so den Bayern-Block stärkt. Außerdem hatte er außer dem altgedienten Miroslav Klose sowieso keine Alternative.
Nun übernimmt also Lahm jene Hauptverantwortung, die bei den vorherigen WM-Turnieren Jürgen Klinsmann, Oliver Kahn oder eben Ballack getragen hatten. Allein diese Aufzählung zeigt, woran es der deutschen Elf im Gegensatz zu früheren Mannschaften fehlt: An einer Führungspersönlichkeit, die intern anerkannt ist und gegenüber der Konkurrenz glaubhaft Stärke demonstrieren kann. Bei allem Respekt vor Lahms interner Kommunikation: Aber in der Außenwirkung hat er doch eher das Charisma eines Berti Vogts - ein fleißiger Athlet, der seine Unscheinbarkeit jedoch nie leugnen konnte und als WM-Kapitän 1978 die "Schmach von Cordoba" mit zu verantworten hatte. Ganz im Gegenteil etwa zu Lothar Matthäus, der die deutsche Elf 1990 mit viel Überzeugung zum Titel geführt hatte. Genau jener WM-Titel scheint in weite Ferne gerückt. Nicht weil Lahm kein guter Spieler wäre - nein, er ist sogar einer der weltbesten Außenverteidiger und wird sich dieses Prädikat wohl auch in Südafrika wieder zuverlässig erarbeiten. Doch Lahm steht eben auch für die Farblosigkeit des DFB-Teams, das eigentlich nur eine Chance hat: Systemfußball. Da ist der führende Kopf nicht ganz so wichtig, vielmehr müssen alle Spieler taktisch fehlerlos über den Rasen rotieren. Es ist Joachim Löw durchaus zuzutrauen, seine Elf mit dieser Strategie so einzustellen, dass sie in allen Spielen auf Augenhöhe mit dem Gegner antritt. Aber wenn es in den K.o.-Spielen um alles oder nichts geht, kommt es dann doch auf die Stärke der Führungsspieler an. Es ist Philipp Lahm zu wünschen, sich tatsächlich in die Riege der Weltmeister-Kapitäne von Diego Maradona (1986, Argentinien), Lothar Matthäus (1990, Deutschland), Carlos Dunga (1994, Brasilien), Didier Deschamps (1998, Frankreich), Cafu (2002, Brasilien) bis zu Fabio Cannavaro (2006, Italien) einreihen zu können. Dann hätte Löws Entscheidung nämlich doch noch das, womit derzeit nicht zu rechnen ist: einen glanzvollen Überraschungseffekt.
Quelle: Lausitzer Rundschau