Börsen-Zeitung: Durchhalteparolen
Archivmeldung vom 13.11.2010
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.11.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSie sorgt wieder einmal für erhebliche Unruhe bei den Marktteilnehmern:die Schuldenkrise der Peripherieländer der europäischen Union (EU). Am Bondmarkt markierten die Risikoaufschläge der Staatsanleihen der betroffenen Länder gegenüber den als (weitgehend) risikolos geltenden Bundesanleihen fast an jedem Tag neue Höchststände. Und auch die Spreads der Credit Default Swaps (CDS) auf die Staatsrisiken erklommen immer neue Allzeithochs.
Zudem hat der Euro wieder erheblich an Wert verloren. Ausgehend von einem Niveau jenseits der 1,42 Dollar ist er auf etwa 1,37 Dollar zurückgefallen. Und selbst an den durch die Aussicht auf neue Liquiditätsspritzen der Fed und die freundliche Konjunkturentwicklung in den EU-Kernländern angetriebenen europäischen Aktienmärkten hat die Krise dafür gesorgt, dass die Rally stockt - trotz der nach wie vor niedrigen Bewertungen europäischer Dividendentitel.
In dieser zweiten Runde der EU-Schuldenkrise gibt es zumindest bis einschließlich Freitag einen markanten Unterschied zum ersten Teil der Krise im Frühjahr: Während damals öffentlich um die Bewältigung der in Schieflage geratenen griechischen Staatsfinanzen gerungen wurde, ist derzeit - zumindest wenn man den offiziellen Standpunkten der Regierungen und der Europäischen Kommission folgt - eigentlich gar nichts passiert: Die Sanierung der Staatshaushalte gehe planmäßig ihren Weg, eine Rettung Irlands oder anderer EU-Mitglieder sei daher nicht notwendig und ein "Haircut" der in den entsprechenden Bonds engagierten Investoren sowieso kein Thema.
Oder etwa doch? An den Märkten will diesem Zweckoptimismus der Politiker jedenfalls schon seit mehreren Wochen niemand mehr folgen. Längst ist bei irischen oder portugiesischen Bonds eingepreist, dass die Investoren im Rahmen einer Rettungsaktion in Anspruch genommen werden. Am Freitag sah es dann so aus, dass offiziell wird, wovon die Marktteilnehmer ausgehen: Es kursierten hartnäckig Gerüchte, dass Irland kurzfristig die Hilfe der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) beantragen könnte und dass es längst entsprechende informelle Kontakte zwischen Dublin, Brüssel und Berlin gibt. Rund 80 Mrd. Euro könnten abgerufen werden, hieß es.
Aber wieder einmal hat sich insbesondere die Regierung der Insel auf ihre bekannte Position zurückgezogen: Irland sei bis Mitte nächsten Jahres über die Märkte finanziert, sodass eine Inanspruchnahme des Rettungsschirms durch das Land nicht notwendig sei. Für die Bondinvestoren klingt das verdächtig nach Durchhalteparolen, die langfristig kaum Bestand haben dürften. Für Vertrauen an den Märkten und für eine Normalisierung der Risikoaufschläge sorgt Dublin auf diese Weise jedenfalls nicht.
Premierminister Brian Lenihan sollte auf seinen Notenbankchef Patrick Honohan hören: Dieser hat nämlich angemerkt, dass die bisher von der irischen Regierung unternommenen Bemühungen zur Reduzierung des Defizits und zur Rekapitalisierung der Banken die Investoren nicht überzeugten. Honohan verweist dabei auf die nach wie vor sehr angespannten irischen Staatsfinanzen.
Die Marktreaktion auf die Gerüchte einer Inanspruchnahme der EU-Hilfe ist bezeichnend: Die Risikoaufschläge reduzierten sich am Freitag merklich, und der Euro holte einen Teil seiner Verluste auf. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass mit einem Ende der Krise erst dann zu rechnen ist, wenn von Seiten der Politik überzeugende Lösungen präsentiert werden. Die meisten Ökonomen sind davon überzeugt, dass sich Länder wie Irland und Portugal kaum mehr am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können. Daher wird sich die Inanspruchnahme des EU-Rettungsschirms letztlich kaum vermeiden lassen. Ein Spiel auf Zeit, wie es die europäische Politik derzeit noch praktiziert, wird auch auf Sicht mehrerer Monate nicht zu einer Beruhigung der Nerven der Marktteilnehmer führen, sondern die Lager eher noch verschlimmern.
Aber auch eine Inanspruchnahme des Rettungsschirms ist nicht ohne Risiken. Wenn Irland diese Entscheidung treffen sollte, werden sich die Marktteilnehmer auf Portugal als das nächstschwächere Land stürzen. Spätestens wenn danach Spanien an der Reihe ist, wird die Lage brenzlig.
Quelle: Börsen-Zeitung