WAZ: Über eine wunderbare Wiederkehr: Deutscher Wein
Archivmeldung vom 23.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittJancis Robinson, die Weinpäpstin der Briten, nennt deutschen Riesling "atemberaubend". Stuart Pigott, der schillerndste unter den tonangebenden Weinkennern der Welt, frohlockt über "nie dagewesenen Geschmacksreichtum und bislang unbekannte Ausdrucksstärke" von der Mosel bis zum Kaiserstuhl.
Und die frankophilen Belgier haben neulich in einer ihrer wichtigsten Tageszeitungen einen deutschen (!) Spätburgunder zum "Wein des Jahres" gekürt.
Die Weinwelt bewegt sich und eine zentrale Achse dieser Bewegung
ist Deutschland. Nach Jahren, da man neidisch die wuchtigen
Kalifornier sah, nach Südafrika oder Australien schielte, hat sich
das Blatt gewendet. Dabei hilft nicht nur der ordentlich laufende
Export von Spitzenweinen in Zeiten, da Riesling Chardonnay als
Trendwein abgelöst hat. Die Deutschen selbst haben ein von Anfang bis
Ende in ihrem Land erzeugtes Produkt wiederentdeckt. Jede zweite
gekaufte Flasche ist von hier; diese Quote ist angesichts globaler
Märkte besser als man denkt. Vorbei auch die Zeiten, da Pseudokenner
unter "Stößchen"-Rufen deutsche Grauburgunder verlachten, weil sie
nur "Pinnogritscho" tranken . . .
Dass es lange anders war, daran sind viele Winzer nicht
unschuldig. Sie haben Jahrzehnte unstrategisch, aber auch unter
unerbittlichen ökonomischen Zwängen und manch kurioser
Subventionspirouette vor sich hin produziert. Sie sind der "Sweet &
Cheap"-Fährte (süß und billig) gefolgt - ein Irrweg, der sich als
rufschädigend erwies. Er hat die glanzvolle Geschichte, die der
Weinbau in Deutschland hat, über Jahre in pelzige Gesichtslosigkeit
gehüllt.
Davon haben sich Mosel, Rhein & Co. erstaunlich gut erholt. Und:
Der Markt hat sich gesundgeschrumpft. Viele Zweiterwerbler (die
"Fünf-Uhr-Winzer") haben aufgegeben. 1989 hatte etwa Rheinland-Pfalz
noch 11 800 Betriebe, inzwischen sind es rund 5000. Dabei sind kaum
Rebflächen weggefallen. Größere Güter, stolz auf ihr "Terroir",
betreiben sie mit internationalem Know-how. Keiner der Vielbeachteten
von Ahr oder Ruwer schämt sich zu sagen, er habe geschaut, wie die
anderen Wein machen: in Burgund oder Napa Valley.
Das Weinjahr 2008 hat gut angefangen. Nicht nur mit der
Nachricht, dass in Deutschland der Pro-Kopf-Verbrauch mit 20,6 Litern
einen Höchststand erreicht hat. Derzeit wird in vielen Gütern ein
stattlicher 2007er gefüllt - auch deshalb eher früh, weil der 2006er
bereits ausverkauft ist. Den Winzer, von der Pflanzung bis zur
Fassprobe einer der wenigen Allrounder in einer Welt, in der ein
VW-Beetle so deutsch ist wie eine Ananas, freut's. Eine kleine
Erfolgsgeschichte, tatsächlich made in Germany. Darauf könnte man
sogar trinken.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Lars L. von der Gönna)