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Leipziger Volkszeitung zur großen Koalition

Archivmeldung vom 21.11.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.11.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wohin will die große Koalition Deutschland steuern? Die Antwort besteht nach einem Jahr Regierung unter der undramatischen, knochentrockenen Regie von Angela Merkel und Franz Müntefering aus einem großen Fragezeichen.

Viele Bürger hatten geradezu irrationale Hoffnungen in die riesige Bundestagsmehrheit gesetzt, mit der sich viele Dinge richten ließen, wenn die Koalitionäre nur wollten - oder könnten. Die Partner Union und SPD, bei der Bundestagswahl gemeinsam ins Drittel-Elend moderner Volksparteien gerutscht, sind zu verschieden, um große Schritte in eine gemeinsame Richtung zu tun. So wird vieles erst gar nicht angepackt - oder durch allzu akrobatische Kompromisse unbrauchbar gemacht. Im Alltagsgeschäft gerät man oft schon bei den von der Kanzlerin bevorzugten Trippelschritten ins Stolpern. Öffentlicher Streit gehört zur Tagesordnung, genauso wie das Nachbessern missratener Beschlüsse. Rot-Grün lässt grüßen. Schneller als von vielen erwartet, produziert die Koalition Stillstand - und ist vorerst doch nicht von Machtverlust bedroht. Statt marktwirtschaftlicher Kurskorrekturen haben sich SPD und Union in einen skurrilen Wettkampf gestürzt, um die letzten Gerechtigkeitslücken im Wohlfahrtsstaat zu finden. Politische Alternativlosigkeit und eine schwache Opposition verschaffen ultra-rechten Rattenfängern Auftrieb. Noch vor einigen Jahren war "Reform" ein oft benutztes Schlagwort der deutschen Politik. Im Wahlkampf wurde es zum Schimpfwort, heute ist es ein Unwort. Außenpolitisch hat Merkels Regierung viel Schröderschen Schaden behoben und sich die Note gut verdient. Innenpolitisch ist ihre Arbeit in vielen Bereichen jedoch ungenügend oder mangelhaft. Gesamtnote: Vier minus. So hat die Koalition manches bewegt, aber wenig erreicht. Nur die Föderalismus- und Unternehmenssteuerreformen sind gelungen. Die Mehrwertsteuererhöhung ist wirtschaftsfeindlich, das neue Gleichstellungsgesetz schlicht grotesk. Die Arbeitslosigkeit sinkt - nicht aus politischen, sondern aus konjunkturellen und demografischen Gründen. Die Steuereinnahmen sind so gigantisch wie noch nie, aber das Tempo des Schuldenabbaus bleibt gering. Den Bürgern wird mehr Geld genommen, anstatt sie zur Ankurbelung der Wirtschaft steuerlich zu entlasten. Merkels Aufruf in ihrer ersten Regierungserklärung für "Mut zur Freiheit" wirkt heute wie ein Witz der deutschen Geschichte. Genau das Gegenteil, mehr Staat nämlich, verordnet die Koalition den Bürgern. Die Gesundheitsreform ist das beste Beispiel.
Allerdings hatte die Kanzlerin keine Chance, ihre eigentliche Agenda durchzusetzen. Um nicht ständig als Verliererin oder willfährige Erfüllungsgehilfin der SPD dazustehen, ist sie selbst nach links gerückt. Für Schröders Basta-Methode fehlt ihr die Macht, als Moderatorin hat sie nur als windschiefes Schilf, nicht aber als unbiegsame Eiche eine Perspektive. Blanker Machterhalt, nicht politischer Inhalt gibt der Koalition ihren tieferen Sinn. Aber die oft unterschätzte Merkel sitzt so fest im Sattel, dass bisher die mächtigen und vom Regierungskurs genervten Ministerpräsidenten der Union keinen Putsch wagen können. Viele hatten ihr das nicht zugetraut.

Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung

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