Berliner Morgenpost: Laute Töne, leise Sieger und ein paar Fragen
Archivmeldung vom 20.10.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSo ist das nun mal bei Koalitionsverhandlungen, auch bei solchen, bei denen ein Scheitern von vornherein ausgeschlossen ist, wie im aktuellen Fall. Man plustert sich auf. Man brüllt sich kurz vor dem Ziel noch mal kräftig an, damit einen auch alle hören. Und dann unterschreibt man. Ein Scheitern der Verhandlungen? Undenkbar.
Nach all den gegenseitigen Liebesbekundungen der vergangenen - na, sagen wir - acht, neun Jahre. Ausgeschlossen. CDU und CSU und FDP werden einen Koalitionsvertrag vereinbaren in den kommenden Tagen. Da mögen sich Wulff und Westerwelle noch so sehr ins Zeug legen beim Erwecken des Eindrucks, man könne auch anders. Nein, können sie nicht. Und auch das ist klar: Am Ende dieser Verhandlungen werden alle drei Parteien als Sieger daraus hervorgehen. Der Koalitionsvertrag wird sowohl die deutliche Handschrift der CSU als auch die mindestens ebenso deutliche der FDP tragen. Und die der CDU natürlich, nur dass die diesen Umstand, dem Naturell der Kanzlerin entsprechend, etwas weniger lautstark betonen wird als ihre beiden Partner Seehofer und Westerwelle es nötig zu haben scheinen. Wahre Sieger genießen still, diese Regel beherzigt niemand so sehr wie Angela Merkel. Am Ende, auch das weiß die große Strategin, das wissen im Grunde aber auch alle anderen Beteiligten, geht es ohnehin um Nuancen und nicht um große Sprünge. Das liegt zum einen an der allseits bekannten Schieflage der Staatsfinanzen. Das liegt zum anderen aber auch daran, dass nicht nur die beiden sogenannten Volksparteien sich in den vergangenen Jahren aufeinander zubewegt haben. Im Grunde sind alle einigermaßen bürgerlichen Parteien - Union, SPD, FDP, Grüne - enger zusammengerückt, auf den großen Feldern der Politik allemal. Selbst die Linke, die ja immer die allerdicksten Backen macht, rückt spätestens in dem Moment Richtung gesellschaftlicher Mitte, in dem sie auch nur einen Zipfel Verantwortung übernimmt. Und dennoch gibt es ein paar Dinge, auf die man achten sollte in den nächsten Tagen, spätestens wenn der schwarz-gelbe Vertrag vorgelegt wird: Wie werden die Steuererleichterungen, ohne die es nach dem Getöse von FDP und CSU ja nicht mehr geht, finanziert? Steigen im Gegenzug die Abgaben? Zum Beispiel über erhöhte Krankenkassen- oder Arbeitslosenbeiträge? Über die Streichung sogenannter Steuerprivilegien, bei der es natürlich auch nur in den seltensten Fällen gerecht zugehen würde. Man denke nur an die beträchtlichen Einbußen, die zum Beispiel Krankenschwestern oder Beschäftigte im noch schlechter bezahlten Pflegedienst hinnehmen müssten, wenn Nachtzuschläge künftig nicht mehr steuerbefreit wären. Würde das dann zum Beispiel der Binnenkonjunktur nutzen, die ja häufig bemüht wird in diesen Tagen, um Adam Riese außer Gefecht zu setzen? Oder vertagen wir die Lasten des nötigen wirtschaftlichen Aufschwungs auf St. Nimmerlein, also auf die nachfolgenden Generationen? Das wäre natürlich der bequemste, auch der ausgetretenste, aber eben auch der schändlichste Weg.
Quelle: Berliner Morgenpost