LVZ: Schonungsloser Befund
Archivmeldung vom 19.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs gehört zum guten Ton der Mediziner, vorm Ärztetag das Klagelied auf die missliche Lage in OP-Sälen und Sprechzimmern anzustimmen. Allerdings mit überschaubarem Erfolg. Egal wie laut die Ärzte auf Budget-Löcher und Bürokratie-Horror hinweisen - in der beratungsresistenten Trutzburg der ewigen Ulla Schmidt ernten sie meist nur ein Schulterzucken.
Oder den Hohn von Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, der den deutschen Weißkitteln durchschnittliche Leistung bei überdurchschnittlicher Vergütung vorwirft. Diesmal könnte es allerdings gut sein, dass die Ohren in Berlin nicht auf Durchzug geschaltet sind. Immerhin hat Ärztekammerpräsident Hoppe mit einem Paukenschlag die Gute-Laune-Blase des deutschen Gesundheitssystems platzen lassen. Bisher hieß es: Alle Patienten bekommen die gleiche, beste Versorgung, alles Gute und rasche Genesung. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute - diese Märchenstunde ist endlich abgesetzt. Die offenkundige Rationierung, die sich wie eine Krake mit immer neuen Zuzahlungen, langen Wartezeiten auf Facharztbesuche und OP-Termine oder der Vorzugsbehandlung von Privatpatienten über das längst überstrapazierte Gesundheitssystem legt, soll nicht länger geheime Verschlusssache sein. Ein bemerkenswerter Vorgang. Immerhin räumt damit erstmals ein Spitzenvertreter der Ärzteschaft offen ein, was viele Patienten längst spüren: Es gibt de facto eine Zweiklassen-Medizin. So schonungslos eindeutig der Befund, so grundverschieden sind jedoch die Behandlungsstrategien. Allen Bedenken zum Trotz sucht Ministerin Schmidt unbeirrt ihr Heil in der allumfassenden Staatsmedizin. Das Monster Gesundheitsfonds soll der Herzschrittmacher werden, damit alles einheitlich im Takt funktioniert: Gleicher Versicherungsbeitrag, gleiche Leistung, gleiches Honorar. Effizienz und Qualitätsdenken gehen zwar anders. Aber wenigstens sieht alles schön gerecht aus. Hoppe und seine Kollegen fürchten so zurecht den Kollaps des Systems und wollen den rettenden Eingriff genau entgegengesetzt: Schluss mit der Vorschriftenmedizin. Die wuchert seit Jahren ungebremst wie ein Krebsgeschwür. Wer einst als idealistischer Humanhelfer ins Medizinstudium gestartet ist, der findet sich im Klinik- oder Praxisalltag frustriert als ferngelenkter Agent einer Zuteilungsmedizin wieder. Kassen und Gesundheitspolitiker haben ein Vorschriftenlabyrinth geschaffen, das vor allem Sackgassen kennt. Wer Auswege im Interesse der Kranken sucht, wird sofort finanziell sanktioniert. Realer Irrsinn der politisch gesteuerten Sparwut: Während das Arzt-Patient-Verhältnis immer blutleerer wird, erfreuen sich versicherungsfremde Leistungen in den Kassen einer robusten Konstitution. Und eine überflüssige, aber nette Wellnesskur geht im Zweifel immer, wenn damit der freiwillig gesetzlich Versicherte nur in der Kasse gehalten werden kann. Doch wie stellte der regierungsamtliche Besserwisser Lauterbach fest: Ärzte verstehen wenig von Politik und noch weniger von Gesundheitspolitik. Zum Glück. Denn diese Art Gesundheitspolitik ist mit dem gesunden Menschenverstand längst nicht mehr erfassbar.
Quelle: Leipziger Volkszeitung (von Olaf Majer)