Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Iran
Archivmeldung vom 29.01.2010
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.01.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Weiße Haus war über die Vorgänge in Persien schon immer schlecht informiert und über die Verhältnisse in der Islamischen Republik rätselt man schon seit dreißig Jahren. Jetzt glaubt man, die »grüne Bewegung« unterstützen zu müssen, weil sie protestiert und furchtlos dem Regime trotzt. Aber das tut sie seit Monaten und niemand kann absehen, wohin die Reise geht.
Denn die »grüne Bewegung« hat kein Konzept und keine eigenen Köpfe. Die Oppositionsführer wollen nur den Cliquenwechsel, nicht den Wechsel des Regimes. Die Diktatur dagegen ist bereit, die Macht mit aller Gewalt zu verteidigen. Immerhin, es lassen sich Risse im Regime ausmachen. Am tiefsten dürfte das Urteil des kürzlich verstorbenen Großayatollahs Montaseri den Block der Mullarchie spalten. Er galt als die höchste Autorität unter schiitischen Gelehrten. Montaseri hat dem Regime den Schleier der Legitimität weggerissen, indem er die brutale Gewaltanwendung gegen die Proteste und Demonstranten als unislamisch qualifizierte. Und nun sieht das Volk: Die Revolutionsführer sind nackt. Gegen das Volk, vor allem gegen seine Jugend, ist keine Zukunft zu machen. Auch die Verhaftungswellen, die seit einigen Wochen über das Land rollen, können den Widerstand auf Dauer nicht brechen. Er hat die kritische Masse erreicht. Dreißig Jahre Diktatur haben vielleicht zwei, drei Generationen gebrochen. Die Masse der heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen aber, die im Internet täglich Freiheit und Wohlstand im »satanischen« Westen betrachten können, glauben nicht mehr an dieses Regime, das die Freiheit niedermacht, dessen Willkür offenkundig ist, deren Funktionäre sich nicht an die eigenen islamischen Gesetze halten. Aber das Regime verfügt noch über die Instrumente des Gewaltmonopols: Paramilitärische Einheiten und den Schlüssel zu den Kasernen mit ihren Waffenarsenalen. Irans Machtstrukturen zeigen das gleiche Wesensmerkmal auf wie alle totalitären Regime des letzten Jahrhunderts: Eine Doppelhierarchie. Staatschef und Regierung sind Fassade. Die wirklichen Herren sind die Chefs der Partei. In der iranischen Mullarchie ist es ähnlich. Es gibt die Regierung, den Präsidenten, das Parlament, die kommunalen Mandatsträger - alle vom Volk gewählt. Daneben existiert der religiöse Machtapparat mit dem Rahbar, dem geistlichen Führer, an der Spitze. Die administrative Struktur soll Demokratie vorgaukeln, aber de facto handelt es sich um eine religiöse Diktatur im Gewand der Monarchie. Der Rahbar ist auf Lebenszeit bestimmt. Die Staatsmacht ist ihm untergeordnet und das ganz offiziell. Artikel 110 der Verfassung erlaubt dem Rahbar, sämtliche Entscheidungen und Handlungen des Staatsapparates, also auch Wahlen, zu »kontrollieren«. Wir haben es mit einer schiitischen Junta und ihrem Diktator zu tun. Ohne Blutvergießen wird ein Regimewechsel da nicht zu machen sein. Schon gar nicht, wenn die Opposition weiter so ratlos protestiert.
Quelle: Westfalen-Blatt