LVZ: Leipziger Volkszeitung zur Buchmesse
Archivmeldung vom 04.10.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.10.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBuchtitel sollten einladen, verführen, vielleicht auch irritieren. "Die letzte Stadt von Afrika", "Kettenkarussel", "Scherben hätten Glück gebracht" oder "Polski Tango" und "Der lange Schatten der Vergangenheit" - so heißen nur einige der Neuerscheinungen dieser Saison.
Roths' "Jedermann" und Grass' "Beim
Häuten der Zwiebel" haben uns schon über den Sommer beschäftigt: als
Angebot von Weltanschauung, als Versuch der Auseinandersetzung mit
subjektiver Erfahrung, objektiver Entwicklung und freiem Flug der
Fantasie. Mehr oder minder streitbar, mehr oder minder umstritten.
Bücher seien, sagte gestern in Frankfurt zur Eröffnung der 58.
Buchmesse am Main Deutschlands Außenminister, das früheste und am
meisten verbreitete Medium einer Kultur des Dialogs. Bücher seien die
geborenen Grenzgänger zwischen Kulturen und Künsten, so Steinmeier
weiter. Und mit Blick auf das von ebenso vielen Ängsten wie Chancen
begleitete Dasein in einer globalisierten Realität: "Das Eigene ist
ohne das Fremde nicht zu begreifen." Nur die üblich schönen Sätze
einer Festrede oder ernst gemeinte Feststellungen?
Auf einer Veranstaltung wie dieser geäußert, dürfen sie immerhin beim
Wort genommen werden. Denn Buchleute leben vom Wort und bauen darauf.
Wenn ab heute 7272 Aussteller aus 113 Länder in der Hessen-Metropole
in fast 400000 Titeln blättern, über fast 400000 Titel reden und
diskutieren, geht's um mehr als 400000 Titel. Es geht um den
intellektuellen Diskurs über die Dinge dieser Erde. Rund 1000 Autoren
werden auf etwa 2500 Veranstaltungen mit ihrem Publikum ins Gespräch
geraten: über Traum und Wirklichkeit, Erinnerung und Wahrheit,
Notwendigkeit und Verfallsdaten von moralischen Instanzen, über
Dichter und Richter, Werk und Vita und Sprache. Natürlich über die
alten und neuen Konflikte des Planeten. Und die falsche Erwartung,
dass Literatur irgendetwas lösen helfen könnte.
Buchmesse ist, wissen wir von der Leipziger, zuerst fröhlich
angeregtes Gedränge. Frankfurt ist, entschieden mehr als Leipzig,
außerdem internationales Geschäft. Es soll, will sein Direktor
Juergen Boos, ein "Kulturevent der Superlative" sein - mit aller
Oberflächlichkeit, die die Jagd nach derlei Rekorden zwangsläufig mit
sich bringt, ohne die ein Ereignis dieser Größenordnung aber
heutzutage wohl nicht mehr existieren kann. Frankfurt sucht also den
Kompromiss wie die Kontroverse - und thematisiert auch Schwieriges.
Die anhaltende Konzentration in der Branche etwa oder die allerorten
bedrohlich nachlassende Leselust, von der Fähigkeit mal noch gar
nicht zu reden.
Glückbringende Scherben wird es, außer zwischen Buchdeckeln, auch
dieser Tage am Main nicht geben. Eher herrscht die für
Kulturmenschentreffen typische familienselige Aufgeräumtheit; da
stoßen Gleichgesinnte an. Hoffentlich mit dem Bewusstsein, dass der
Spagat, den Markt immer erzwingt, spannend, aber auch gefährlich ist.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung